Rz. 1130

Bei bevorstehenden Massenentlassungen gilt auch im Insolvenzverfahren gemäß §§ 17, 18 KSchG uneingeschränkt das Verfahren zur Melde- und Anzeigepflicht.[2749] Nach den Entscheidungen des EuGH[2750] und des BAG[2751] ist unter dem Begriff "Entlassung" i.S.d. §§ 17 ff. KSchG die Kündigungserklärung des Arbeitgebers zu verstehen. Entsprechend hat der Insolvenzverwalter vor Ausspruch von Kündigungen, aber auch bei allen anderen Beendigungsformen, die von ihm veranlasst sind,[2752] die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates zu beachten.[2753] Gleichzeitig hat er nach § 17 Abs. 3 KSchG die beabsichtigten Massenentlassungen gegenüber der Agentur für Arbeit ordnungsgemäß anzuzeigen.[2754] Die Vorschriften gelten auch bei der Stilllegung des Betriebes.[2755] Kündigungen, die ohne eine wirksame Massenentlassungsanzeige erklärt werden, sind nach § 134 BGB nichtig.[2756]

[2749] EuGH 17.12.1998 – C-250/97, NZA 1999, 305; EuGH 3.3. 2011 – C-235–239/10, NZA 2011, 337; BAG 18.1.2012 – 6 AZR 407/10, NZA 2012, 817; BAG 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, NZA 2012, 1058; Uhlenbruck/Zobel, § 113 InsO Rn 118; Arens/Brand, § 1 Rn 1042 ff.
[2751] BAG 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971; BAG 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, ZIP 2006, 2396 = NZA 2007, 25; BAG 22.3.2007 – 6 AZR 499/05, NZA 2007, 1101, unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung, wonach unter "Entlassung" die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstanden wurde.
[2752] Zum Aufhebungsvertrag BAG 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761.
[2753] Der Betriebsrat muss vollständig unterrichtet und mit ihm muss beraten worden sein. Eine Einigung vor Durchführung der Massenentlassung muss nicht mit ihm erzielt worden sein. Vgl. BAG 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, ZIP 2006, 2396 = NZA 2007, 25. Für § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG genügt Textform entsprechend § 126b BGB (BAG 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175).
[2754] Die Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 KSchG hindert weder den Ausspruch einer Kündigung nach Anzeige der Massenentlassung während des Laufs der Sperrfrist, noch verlängert sie die Kündigungsfristen (BAG 6.11.2008 – 2 AZR 935/07, ZIP 2009, 487). Die Sperrfrist stellt lediglich einen Mindestzeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar mit der Folge, dass u.U. das Arbeitsverhältnis über die (kürzere) Kündigungsfrist hinaus erst mit Ablauf der Sperrfrist endet. Vgl. BAG 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, ZInsO 2009, 1968 = NZA 2009, 1267. Bei einem Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG sind nach BAG-Rechtsprechung (12.7.2007 – 2 AZR 448/05, NZA 2008, 425) alle ausgesprochenen Kündigungen und Aufhebungsverträge rechtsunwirksam). Als sog. relativer Unwirksamkeitsgrund muss sich der betroffene Arbeitnehmer nach herrschender Meinung darauf fristgemäß berufen. Vgl. ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rn 35 ff.; Uhlenbruck/Zobel, § 113 InsO Rn 143 ff.

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