Rz. 1099

Die Insolvenz des Arbeitgebers als solche stellt keinen Grund zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung von Arbeitsverhältnissen dar. Nach § 108 Abs. 1 InsO bestehen Dienstverhältnisse und damit auch Arbeitsverhältnisse über die Insolvenzeröffnung mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Um erforderliche Kündigungen im Insolvenzverfahren zu beschleunigen,[2669] sieht § 113 InsO für Dienstverhältnisse ein gesetzliches Kündigungsrecht und eine gesetzliche Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende vor, wenn nicht eine kürzere Frist gilt.[2670] § 113 InsO ist zwingend und geht als lex specialis allen längeren Kündigungsfristen, unabhängig von deren Rechtsgrundlage durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Anstellungsvertrag, vor.[2671] Die Kündigungsmöglichkeit besteht auch für befristete Dienstverhältnisse und für solche, in denen das Recht zur ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist.[2672] Das Recht zur Änderungs- und Beendigungskündigung nach § 113 InsO steht beiden Vertragsparteien während der gesamten Verfahrensdauer zu.[2673] Für die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB gelten in der Insolvenz keine Besonderheiten. Bei einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter gemäß § 113 InsO kann der Arbeitnehmer nach Satz 3 der Vorschrift den sog. Verfrühungsschaden zur Insolvenztabelle anmelden.[2674] Erfasst sind dabei nicht nur die Schäden aus der verkürzten Kündigungsfrist, sondern auch sonstige Nachteile.[2675] § 113 InsO regelt jedoch keinen eigenständigen Kündigungsgrund.[2676] Der allgemeine und etwaige besondere Kündigungsschutz der Arbeitnehmer gelten fort. Zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage gilt nach Aufhebung des § 113 Abs. 2 InsO a.F. die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG.

[2669] Hintergrund ist, die Kostenbelastung aus den nach der Verfahrenseröffnung weiter bestehenden Arbeitsverhältnissen zur Förderung von Unternehmenssanierungen zu begrenzen (BAG 19.7.2007 – 6 AZR 1087/06, AP InsO § 55 Nr. 14 = ZIP 2007, 2173; MüKo-InsO/Hefermehl, § 55 Rn 147.
[2670] Regh/Regh, § 5 Rn 14; Kübler/Prütting/Moll, § 113 InsO Rn 37 ff.; Berscheid, Rn 522; ErfK/Müller-Glöge, § 113 InsO Rn 8. Nach neuer Rechtsprechung (BAG 23.2.2017 – 6 AZR 665/15, NZA 2017, 995) gilt dies auch für den Fall, dass ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit vor Insolvenzeröffnung noch nicht begonnen hat. Auch für eine Kündigung vor Dienstantritt gilt § 113 InsO, denn § 108 Abs. 1 S. 1 InsO legt als speziellere Regelung ausnahmslos fest, dass Dienstverhältnisse des Schuldners mit Wirkung für die Masse fortbestehen. Damit wurde der früher vertretenen Mindermeinung, dem Insolvenzverwalter stünde das Wahlrecht nach § 103 InsO zu (Hess, § 113 InsO Rn 250 ff.) eine Absage erteilt. Gemäß vorerwähntem BAG-Urteil beginnt die Kündigungsfrist des § 113 S. 2 InsO mit Zugang der Kündigungserklärung und nicht erst zum Zeitpunkt des Dienstantritts.
[2671] ErfK/Müller-Glöge, § 113 InsO Rn 8; Kübler/Prütting/Moll, § 113 InsO Rn 67 ff.
[2672] Allgemein BAG 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387; zum tariflich unkündbaren Arbeitsverhältnis BAG 19.1.2000 – 4 AZR 70/99, AP Nr. 5 zu § 113 InsO = NZA 2000, 658; BAG 16.6.2005 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 270; BAG 16.5.2019 – 6 AZR 329/18, NZA 2019, 1198; zur Unkündbarkeitsklausel in Betriebsvereinbarungen BAG 22.9.2005 – 6 AZR 526/04, NZA 2006, 658; zur Befristung BAG 16.6.2005 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 270.
[2673] § 113 InsO findet auch auf Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung Anwendung (BAG 23.2.2017 – 6 AZR 665/15, NZA 2017, 995).
[2674] § 113 S. 3 InsO räumt dem Arbeitnehmer einen im Rang einer Insolvenzforderung stehenden Anspruch auf Schadensersatz ein, berechnet nach der Bruttolohnmethode in der regulären Vertragslaufzeit, der durch die verkürzte Kündigungsfrist entsteht, BAG 19.11.2015, NZA 2016, 573. Die Schadensersatzregelung ist mit höherrangigem Recht vereinbar (BAG 27.2.2014 – 6 AZR 301/12, NZA 2014, 897).
[2675] Als sonstiger Nachteil gelten z.B. das Nichterreichen der Unverfallbarkeit der betrieblichen Altersversorgung sowie mittelbare Schäden wie der Verlust der Beitragsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung während der Elternzeit (BAG 27.2.2014 – 6 AZR 301/12, NZA 2014, 897). Bei vereinbarter Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ist der Schadensersatzanspruch auf die ohne die vereinbarte Unkündbarkeit maßgebliche längste ordentliche Kündigungsfrist beschränkt (BAG 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, ZIP 2007, 1829 = ZInsO 2007, 1117). Vgl. Zwanziger, § 113 InsO Rn 39 f.
[2676] BAG 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 139 = NZA 2006, 720; BAG 20.9.2006 – 6 AZR 249/05 NZA 2007, 387; ErfK/Müller-Glöge, § 113 InsO Rn 9; Hess, § 113 InsO Rn 180 f.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge