Rz. 897
Legt der Arbeitgeber für eine beabsichtigte Maßnahme lediglich die Voraussetzungen fest, unter denen diese durchgeführt wird, stellt dies noch keine Auswahlrichtlinie dar.[2099] Mitbestimmungspflichtig ist erst die Aufstellung von allgemeinen Kriterien durch den Arbeitgeber, anhand derer er die Voraussetzungen für eine personelle Maßnahme festlegt.[2100] Zu unterscheiden ist daher zwischen der vorgangsbezogenen – mitbestimmungsfreien – und der personenbezogenen – mitbestimmungspflichtigen – Kriterienfestlegung. Auswahlrichtlinien können auch anlässlich einer konkreten Personalmaßnahme[2101] oder als abstrakt-generelle Dauerregelung aufgestellt werden. Voraussetzung ist nicht ihre allgemeine Geltung für künftige personelle Einzelmaßnahmen; ausreichend ist eine gewisse Generalisierung, die daher auch bei einer aufgrund eines konkreten betrieblichen Anlasses anstehenden Personalmaßnahme vorliegen kann.[2102]
Rz. 898
Eine bestimmte Form ist für den Abschluss einer Auswahlrichtlinie nicht vorgesehen; auch für die Zustimmung des BR nach § 95 Abs. 1 BetrVG besteht kein (Schrift-)Formerfordernis.[2103] Mündliche Regelungsabreden sind daher denkbar.[2104] Bei Wahrung der Schriftform liegt eine Betriebsvereinbarung vor.[2105] Schon wegen der erheblichen Rechtsfolgen, die an eine Auswahlrichtlinie geknüpft sind, ist ohnehin die Schriftform anzuraten. Eine formlose Auswahlrichtlinie scheidet zudem jedenfalls aus, wenn sie in einem Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung aufgestellt wird, denn insoweit verlangt § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG zwingend die Schriftform. Die für Kündigungen aufgestellten Auswahlkriterien sollten in Form einer Betriebsvereinbarung i.S.d. § 77 Abs. 2 BetrVG geregelt werden, da andernfalls die Privilegierung des § 1 Abs. 4 KSchG nicht eingreift, wonach die gerichtliche Überprüfung der Bewertung der sozialen Gesichtspunkte im Verhältnis zueinander auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt ist.[2106]
Rz. 899
Praxishinweis
Wird eine Kündigungsauswahlrichtlinie als Teil eines Interessenausgleichs abgeschlossen, ist zweifelhaft, ob die Privilegierung des § 1 Abs. 4 KSchG greift, da der Interessenausgleich gerade nicht die Wirkung einer Betriebsvereinbarung i.S.d. § 77 Abs. 2 BetrVG hat.[2107] Es ist daher ratsam, den Interessenausgleich ausdrücklich in Form einer Betriebsvereinbarung abzuschließen.[2108] Andererseits will dies aber wohlüberlegt sein, denn dadurch kann ein Durchführungsanspruch ausgelöst werden, § 77 Abs. 1 BetrVG.[2109]
Praxishinweis
Da die Kündigungsauswahlrichtlinie i.S.d. § 1 Abs. 4 KSchG "in" einer Betriebsvereinbarung enthalten sein muss, ist darauf zu achten, dass diese beiderseits unterzeichnet ist. Findet sie sich hingegen ganz oder teilweise in einer Anlage wieder, muss diese durch Inhalt/Druckgestaltung und Unterschriften eindeutig auf die Betriebsvereinbarung bezogen oder fest mit der Haupturkunde verbunden werden.[2110]
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