Rz. 1092

Der Gesetzgeber hat mit der am 1.1.1999 umfassend in Kraft getretenen Insolvenzordnung[2651] ein einheitliches Insolvenzverfahren geschaffen. Die Gläubiger werden durch ein geregeltes und vom Insolvenzgericht überwachtes Verfahren gleichmäßig befriedigt.[2652] Wegen einer besseren Verteilungsgerechtigkeit und akzeptableren Quoten für alle Gläubiger gibt es im Insolvenzverfahren – anders als früher durch die Regelungen in der Konkursordnung[2653] – keine bevorrechtigten Gläubigergruppen mehr. Rückständiges Arbeitsentgelt ist als einfache Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden, so dass den Arbeitnehmern darüber ein Stimmrecht in der Gläubigerversammlung zukommt.[2654] Es gibt jedoch kein besonderes Arbeitsrecht der Insolvenz.[2655]

[2651] BGBl I 1994, 2866; Art. 110 Abs. 1 EGInsO v. 5.10.1994, BGBl I S. 2911; Nerlich/Römermann/Andres, § 38 InsO Rn 4.
[2652] Zum Gang des Insolvenzverfahrens Schrader/Straube, S. 3 ff.; Lakies, Rn 21 ff.; Zwanziger, Einf. Rn 21 ff.
[2653] Die rückständigen Lohnforderungen der Arbeitnehmer in den letzten sechs Monaten vor Eröffnung des Konkursverfahrens waren als Masseschulden bevorrechtigt (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 lit. a KO) bzw. die drei letzten Monate vor der Verfahrenseröffnung durch das Konkursausfallgeld (Kaug) abgesichert. Die Arbeitnehmerforderungen, die vom siebten bis zwölften Monat vor Konkurseröffnung rückständig waren, wurden nach den Masseschulden als bevorrechtigte Konkursforderungen an erster Rangstelle befriedigt (§ 61 Abs. 1 Nr. 1 lit. a KO).
[2654] Nach § 67 Abs. 2 S. 2 InsO soll einem eingesetzten Gläubigerausschuss ein Arbeitnehmervertreter angehören. Seit Einführung des ESUG im März 2012 gilt dies zum einen unabhängig davon, ob und in welcher Höhe die Arbeitnehmer Forderungen als Insolvenzgläubiger haben. Zum anderen ist mit § 22a InsO die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses unter bestimmten Voraussetzungen im Insolvenzeröffnungsverfahren geregelt.
[2655] Den europäischen Mindestschutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers regelt die EU-Arbeitnehmerschutzrichtlinie (Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 22.10.2008), ABl Nr. L 283 S. 36. Durch das ESUG wurde ab März 2012 die kollisionsrechtliche Vorschrift des § 337 InsO angepasst. Das Recht des Staates, dem das Arbeitsverhältnis unterliegt, soll auch über die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf das Arbeitsverhältnis befinden (Arbeitsvertragsstatut). Die Regelung entspricht inhaltlich Art. 10 EuInsVO.

a) Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Insolvenz

 

Rz. 1093

Die Insolvenz des Arbeitgebers[2656] hat auf die Anwendbarkeit der arbeitsrechtlichen Vorschriften, wie beispielsweise den Kündigungsschutz und die Geltung des § 613a BGB sowie auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses, grundsätzlich keine Auswirkungen (§ 108 Abs. 1 S. 1 InsO). Prinzipiell soll auch in der Insolvenz der Schutz der Arbeitnehmer durch zwingendes Arbeitsrecht erhalten bleiben. Die Interessen der Arbeitnehmer stehen lediglich dort zurück, wo der Gesetzgeber den Interessen der anderen Insolvenzgläubiger ausdrücklich Vorrang eingeräumt hat, so z.B. in den Vorschriften §§ 113, 120122 und 125128 InsO.

[2656] Die Insolvenz des Arbeitnehmers berührt das Arbeitsverhältnis nicht und wird hier nicht weiter behandelt.

aa) Arbeitgeberstellung in der Insolvenz

 

Rz. 1094

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht und damit auch die Arbeitgeberstellung kraft Gesetzes vom Gemeinschuldner auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 ­InsO).[2657] Voraussetzung dafür ist, dass das Arbeitsverhältnis zum Eröffnungszeitpunkt noch fortbesteht. Der Gemeinschuldner behält nur ausnahmsweise bei Anordnung der Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Sachwalters weitgehend die Arbeitgeberstellung.[2658]

[2657] Kübler/Prütting/Lüke, § 80 InsO Rn 43 ff.
[2658] BAG 22.10.1998 – 8 AZR 618/97, ZInsO 1999, 361 (LS); Regh/Regh, § 3 Rn 25.

(1) Vorläufiger Insolvenzverwalter vor der Insolvenzeröffnung

 

Rz. 1095

Im Insolvenzeröffnungsverfahren, also nach Antragstellung auf Insolvenzeröffnung durch den Gemeinschuldner oder einen Gläubiger, bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Wenn das Gericht als Sicherungsmaßnahme dem Gemeinschuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO), verliert der Gemeinschuldner bereits zu diesem Zeitpunkt seine Arbeitgeberstellung an den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 InsO).[2659] In der Regel ordnet das Gericht aber lediglich an, dass Verfügungen des Gemeinschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Bei diesem Zustimmungsvorbehalt bestellt das Gericht einen sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter.[2660] Die Arbeitgeberstellung und damit auch die Kündigungsbefugnis verbleiben beim Gemeinschuldner.[2661] Die erforderliche Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters ist bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses dieser in urkundlicher Form beizufügen. Andernfalls kann die Kündigung nach § 182 Abs. 3 BGB i.V.m. § 111 S. 2 BGB zurückgewiesen werden.[2662]

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