1. Das Grundrecht der elterlichen Sorge

 

Rz. 287

Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes legt fest, dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht ist. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG).

Eltern, so führt es § 1626 Abs. 1 BGB aus, haben die Pflicht und das Recht, also die Verantwortung, für die Person und das Vermögen ihres minderjährigen Kindes zu sorgen.

Art. 6 Abs. 2 GG gibt Eltern ein starkes Abwehrrecht gegenüber Einmischungen Dritter sowie des Staates in das Sorgeverhältnis.[301] Das grundrechtlich geschützte Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG bezieht sich auf leibliche Eltern, unabhängig von ihrem Familienstand sowie auf diesen gleichgestellten Adoptiveltern. Bei einem länger andauernden Pflegeverhältnis und der daraus erwachsenen Bindung zwischen Pflegeeltern und Pflegekind ist auch die Pflegefamilie durch Art. 6 Abs. 1, 3 GG geschützt.[302]

Die elterliche Sorge ist ein absolutes Recht im Sinne des § 823 I BGB.[303] Der Staat übt im Rahmen seines Wächteramtes eine Garantiefunktion für Kindesrechte aus. Er handelt somit als "Ausfallbürge" für die ansonsten vorrangige Elternkompetenz.[304]

[301] Zur pflichtgebundenen Verantwortung vgl. OVG Münster, Beschl. v. 30.4.2010 – 19 A 993/07, BeckRS 2010, 49985 m. Anm. Zimmermann a.a.O.
[302] BVerfG FamRZ 1989, 31; 2000, 1489.
[303] BGH FamRZ 1990, 966.
[304] Zu den Befugnissen öffentlicher Institutionen vgl. Hoffmann, Personensorge, 2. Aufl., 2013, § 1 Rn 134 ff.

2. Historisches zur elterlichen Sorge

 

Rz. 288

Entscheidender Maßstab in der Ausübung elterlicher Verantwortung ist das Kindeswohl. Dies gilt auch für alle gerichtlichen Maßnahmen im Bereich des Sorgerechts, § 1697a BGB.[305]

Der Begriff des Kindeswohls ist allerdings von Gerichten zu allen Zeiten gefüllt worden mit einem Inhalt, der nicht unabhängig von der jeweiligen gesellschaftspolitischen Situation und nicht unabhängig von gesellschaftlichen Auffassungen gesehen werden kann. 1917 wurde ein Minderjähriger den Eltern weggenommen und in ein Heim gesteckt, weil das Kind nicht in der Lage war, so das Kammergericht, "für das Große, das Deutschland an hervorragenden Männern und Taten hervorgebracht (hat), Verständnis zu gewinnen".[306]

 

Rz. 289

In der – gerade beginnenden – Zeit des Nationalsozialismus erklärte das AG Berlin-Lichterfelde:[307]

Zitat

"Es besteht die dringende Gefahr, dass das Kind nach der Rückkehr des Vaters (Anm.: seinerzeit als Kommunist in Haft) in staatsfeindlicher Weise und somit zu seinem Nachteil erzogen wird _________________________. Es ist Aufgabe des Vormundschaftsgerichts, dafür zu sorgen, dass auf den Minderjährigen in nationaldeutschem Sinne eingewirkt wird."

 

Rz. 290

Ein Landgericht meinte ebenfalls bereits 1935:

Zitat

"Eine deutsche Mutter, die durch ihren Verkehr mit einem Juden zu einer Zeit, in der eine aufklärende Propaganda ihr das Verbrecherische ihrer Handlungsweise zum Bewusstsein hat bringen müssen, eine schamlose Gesinnung an den Tag gelegt hat, ist nicht würdig und nicht fähig, deutsche Kinder zu deutschen Menschen zu erziehen."[308]

 

Rz. 291

Auch wenn unsere Verfassung 1948 mit Art 6 GG dann endlich die Grundlage friedlicher Entwicklung auch unserer Kinder zu freien und sozial denkenden Persönlichkeiten geschaffen hatte, dauerte es doch noch einige Jahre, bis sich die Auffassung weg von einem Gewaltverhältnis, einem reinen Elternrecht, hin zu einer Elternverantwortung durchgesetzt hatte. Während beispielsweise noch 1953 ein Elternverhalten vom BGH als lediglich drastisch qualifiziert wurde, bei dem die 16-jährige Tochter in der Wohnung festgehalten, festgebunden und geschlagen wurde, ihre Haare kurz geschoren wurden, um ihre "sittliche Verkommenheit zu bekämpfen",[309] entzog immerhin das OLG Karlsruhe 1974 einem Vater, der seine 14-jährige Tochter schlug und sie ohrfeigte, das Personensorgerecht, weil "Schläge in diesem Alter kein geeignetes Erziehungsmittel" seien.[310]

 

Rz. 292

Aber nicht nur die Rechtsprechung, auch der Gesetzgeber verstärkte im Wandel gesellschaftspolitischer Einsichten mehr und mehr die Bemühungen um die Kinderrechte mit dem Ausgangspunkt des Kindeswohls. Von großer Bedeutung auf diesem Weg waren Gesetzesänderungen, deren Dimension auf den ersten Blick nicht auffiel, wie z.B. die verschuldensunabhängige Formulierung des § 1666 BGB im Jahre 1980,[311] die zwar angegriffen, aber vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde.[312]

 

Rz. 293

Seitdem hat eine Reihe von Reformen dafür gesorgt, dass das Kindeswohl zum Mittelpunkt der Entscheidungen auch im Rahmen der elterlichen Sorge geworden ist.

Zuletzt setzte das am 1.9.2009 in Kraft getretene FamFG neue Standards im Umgang mit Kindern und ihren Rechten im Rahmen unserer Gesellschaft.

[305] BVerfG NJW 1999, 2173 m.w.N.; Grüneberg/Götz, Einf. v. § 1626 BGB Rn 1; vgl. auch Horndasch/Viefhues/Horndasch, FamFG, § 166 Rn 3 ff.
[306] Beschl. v. 27.4.1917, JW 1917, 737, 738.
[307] Beschl. v. 15.4.1935, ZJJ Bd. 27, 232; es wurde "Fürsorgeerziehung" angeordnet.
[308] LG Torgau, Beschl. v. 27.11.1935, JW...

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