Rz. 286

Grundsätzlich ist nur derjenige unterhaltspflichtig, der bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts Unterhalt zu gewähren in der Lage ist (§ 1603 Abs. 1). Der Begriff der Leistungsfähigkeit beurteilt die Frage, ob der Unterhaltspflichtige wirtschaftlich in der Lage ist, den Bedarf des minderjährigen Unterhaltsberechtigten zu befriedigen.[368]

 

Rz. 287

Dem Unterhaltsschuldner verbleiben alle seine zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigten Mittel (angemessener Eigenbedarf).[369] Der eigene Unterhalt wird als Selbstbehalt bezeichnet.[370]

 

Rz. 288

 

Praxistipp

Der unbestimmte Rechtsbegriff des "angemessenen Unterhalts" wird für den Unterhaltsschuldner in § 1603 nicht näher bestimmt.

 

Rz. 289

§ 1603 begrenzt die Leistungspflicht des Unterhaltspflichtigen auf den Betrag, der seinen eigenen Lebensbedarf (Eigenbedarf = Selbstbehalt) übersteigt. Leistungsfähig i.S.d. § 1603 ist also nur der Unterhaltspflichtige, dessen bereinigtes Nettoeinkommen über dem Selbstbehalt liegt.[371]

 

Rz. 290

 

Praxistipp

Der Unterhaltspflichtige ist leistungsfähig, der den (Rest-)Bedarf des minderjährigen Kindes decken kann, ohne dass bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen sein eigener angemessener Unterhalt (Eigenbedarf) gefährdet ist.

 

Rz. 291

Gegenüber minderjährigen Unterhaltsberechtigten erweitert § 1603 Abs. 2 Satz 1 die Leistungspflicht des Unterhaltspflichtigen. Dort wird die "verschärfte" Leistungspflicht gegenüber minderjährigen sowie volljährigen unverheirateten Kindern bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs, die sich in allgemeiner Schulausbildung befinden, und im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben (sog. privilegierte Kinder, § 1603 Abs. 2 Satz 2), normiert.

 

Rz. 292

Im Rahmen der verschärften Leistungspflicht des Unterhaltspflichtigen wird diesem zugemutet, sein Einkommen und gegebenenfalls Vermögen[372] mit den unterhaltsberechtigten Kindern und unter Umständen anderen Unterhaltsberechtigten zu teilen, wobei er mit Beträgen auskommen muss, die unter dem Lebensstandard seiner Einkommensgruppe liegen.[373] Dieser Zustand ist nicht zu beanstanden, da der Eigenbedarf, der dem unterhaltspflichtigen Elternteil zu belassen ist, gerade auch vom Vorhandensein unterhaltsberechtigter minderjährigen und/oder privilegierter Kinder (§ 1603 Abs. Satz 2) bestimmt wird.

 

Rz. 293

 

Praxistipp

Die verschärfte (gesteigerte) Unterhaltspflicht besteht gegenüber minderjährigen und privilegierten Kindern, wenn nicht ein anderer zur Unterhaltsleistung verpflichteter Verwandter vorhanden ist oder das Kind über Vermögen verfügt (§ 1603 Abs. 2 Satz 3).

 

Rz. 294

Im Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht muss der Unterhaltsschuldner alle verfügbaren Mittel für seinen eigenen Bedarf und den der minderjährigen und/oder privilegierten Kinder gleichmäßig verwenden. Der Unterhaltspflichtige soll nur seinen eigenen unabweisbaren Bedarf (notwendiger Selbstbehalt) vorab befriedigen dürfen. Dem Unterhaltsschuldner hat daher nur der notwendige Selbstbehalt zu verbleiben.[374]

Für die Frage der Leistungsfähigkeit bedeutet das, dass der Unterhaltspflichtige nur dann nicht leistungsfähig i.S.d. § 1603 ist, wenn seine Einkünfte und sein Vermögen, sofern dieses einzusetzen ist, nicht zur Deckung seiner eigenen angemessenen, bei Unterhaltspflichten gegenüber minderjährigen und/oder privilegierten Kindern zur Deckung seiner notwendigen – nicht angemessenen – Bedürfnisse ausreichen.

[368] Dose/Klinkhammer, § 2 Rn 239.
[369] Weinreich/Eder, § 1603 Rn 1.
[370] Vgl. SüdL Anhang 3; Hdb. FamR/Fuchs, 6. Kap. Rn 321.
[371] Hdb. FamR/Fuchs, 6. Kap. Rn 321; Lipp, FamRZ 2012, 1.
[372] BGH FamRZ 1986, 48; OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 767.
[373] Dose/Klinkhammer, § 2 Rn 239 a.E.
[374] Dose/Klinkhammer, § 2 Rn 240.

1. Eingeschränkte und gesteigerte ("verschärfte") Leistungspflicht

 

Rz. 295

Das eben Gesagte lässt sich schematisch wie folgt darstellen:[375]

 

Eingeschränkte Leistungspflicht

Nach § 1603 Abs. 1 ist unterhaltspflichtig nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Lebensbedarfs (= Eigenbedarf = Selbstbehalt) den vollen Unterhalt zu gewähren. Nur der Teil des – unterhaltsrechtlich bereinigten – Einkommens ist für den Unterhalt verfügbar, der den Selbstbehalt übersteigt. Lediglich insoweit ist die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen gegeben.

Verschärfte Leistungspflicht

Für den Unterhalt minderjähriger oder diesen gleichgestellten privilegiert volljähriger Kinder haften die Eltern verschärft (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2). Sie müssen alle verfügbaren Mittel (Einkommen und in der Regel auch Vermögen) für den Unterhalt verwenden, indem sie diese Mittel gleichmäßig für den eigenen Unterhalt und den Unterhalt ihrer minderjährigen und privilegiert volljährigen Kinder verwenden. Verfügbar in diesem Sinne sind alle Mittel, die das Existenzminimum (notwendiger Selbstbehalt) überschreiten. Die Elternverantwortung, deren Ausfluss die Unterhaltspflich...

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