Rz. 337

Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners wird auch durch seine Erwerbsfähigkeit und seine Erwerbsmöglichkeiten bestimmt.[428] Sofern er über keine oder zu geringe Einkünfte verfügt, um den geschuldeten Unterhalt zu bedienen, trifft ihn die unterhaltsrechtliche Obliegenheit, die ihm möglichen und zumutbaren Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitskraft optimal einzusetzen.[429] Kommt der Unterhaltsschuldner dieser Obliegenheit unterhaltsbezogen leichtfertig und vorwerfbar nicht nach, werden ihm solche Einkünfte – fiktiv[430] – als unterhaltsrechtliches Einkommen angerechnet, die er unterhaltsbezogen verantwortungslos nicht bezieht.[431]

 

Rz. 338

Die Zurechnung fiktiver Einkünfte bedingt neben den fehlenden subjektiven Erwerbsbemühungen (unterhaltsbezogen leichtfertig) des Unterhaltsschuldners in objektiver Hinsicht, dass die zur Erfüllung der Unterhaltspflicht erforderlichen Einkünfte vom Unterhaltsschuldner überhaupt erzielt werden können.[432] Das heißt, es müssen sowohl die persönlichen Voraussetzung als auch ein entsprechendes Angebot an freien Arbeitsstellen vorhanden sein.[433] Dabei ist der Arbeitsmarkt am Wohnort des Unterhaltsschuldners zu betrachten, wenn ihm ein Umzug, z.B. wegen der Ausübung des Umgangsrechts, nicht zugemutet werden kann.[434] Selbstverständlich muss der Unterhaltsschuldner entsprechende Bemühungen um eine Arbeitsstelle an den Tag legen, die in der Regel durch eine ausreichende Anzahl von Bewerbungen dokumentiert werden müssen.[435]

 

Rz. 339

 

Praxistipp

Der Unterhaltsschuldner ist hinsichtlich seiner – gescheiterten – Erwerbsbemühungen darlegungs- und beweisbelastet. Daher muss er sich rechtzeitig in ausreichender Zahl auf freie Arbeitsstellen bewerben, sich beim Arbeitsamt arbeitssuchend melden usw. Die Bewerbungen und gegebenenfalls Absagen sind zur Vorlage bei Gericht entsprechend zu dokumentieren.

Es ist Aufgabe des anwaltlichen Vertreters, seinen Mandanten auf diesen Umstand hinzuweisen.

 

Rz. 340

Nachfolgend werden Sachverhalte aufgezählt, bei deren Vorliegen die Zurechnung von fiktiven Einkünften beim Unterhaltsschuldner in Betracht kommt und daher – zumindest – geprüft werden sollte.

Ausreichende Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners bei – auch unverschuldeter – Arbeitslosigkeit.
Freiwilliger Wechsel des Arbeitsplatzes bzw. Berufs.
Freiwillige Aufgabe nicht selbstständiger Erwerbstätigkeit, auch bei – fingierter – Kündigung des Arbeitgebers.
Freiwillige Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit.
Unfreiwilliger – auch selbstverschuldeter – Verlust des Arbeitsplatzes.
Strafhaft.
Eintritt in Altersteilzeit bzw. Rente.
 

Rz. 341

Einkünfte werden fiktiv in der Höhe zugerechnet, wie der Unterhaltsschuldner sie durch Ausübung einer zumutbaren Erwerbstätigkeit hätte erzielen können,[436] da er sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen muss, als hätte und würde er diese Einkünfte in dieser Höhe tatsächlich erzielt haben bzw. erzielen.[437] Daher orientiert sich die Höhe der fiktiven Einkünfte an der Höhe der ursprünglich vom Unterhaltsschuldner erzielten Einkünfte.[438] Abzustellen ist jedoch nicht auf das unterste Niveau der möglichen Einkünfte, sondern auf die Höhe, wie sie bei entsprechend zumutbaren Einsatz zu erzielen sind.[439]

 

Rz. 342

 

Praxistipp

Wenn es bei der ursprünglich ausgeübten teilschichtigen Tätigkeit an der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners fehlt, sind ihm fiktiv Einkünfte aus dieser jedoch vollschichtigen Tätigkeit anzurechnen.[440]

 

Rz. 343

In welcher Höhe sich fiktiv anzurechnende Einkünfte des Unterhaltsschuldners ergeben, bestimmt sich nach seinen Fähigkeiten, seiner Ausbildung, seiner Qualifikation und seinen beruflichen Möglichkeiten, die im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände konkret festzustellen sind.[441] An dieser Stelle ist auch die Prognose der zukünftigen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners im Wege einer hypothetischen Betrachtungsweise zu erstellen, die insbesondere die Beschäftigungschancen bei den derzeitigen Arbeitsmarktverhältnissen zu berücksichtigen hat.[442] Auch bei Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit auf dem Unterhaltspflichtigen nur ein Einkommen zugerechnet werden, dass von ihm realistischerweise erzielt werden kann.[443]

 

Rz. 344

 

Praxistipp

Ausgangspunkt für die Zurechnung eines fiktiven Einkommens in einem Fall, in dem die behauptete unterhaltsrechtliche Leistungsunfähigkeit Folge einer Insolvenz sein soll, ist derjenige Betrag, den der Unterhaltspflichtige unter Berücksichtigung seiner Ausbildung, seiner Fähigkeiten und seiner sonstigen persönlichen Qualifikation realistischerweise tatsächlich erzielen könnte. Ein erstes, allerdings sehr gewichtiges Indiz ist dabei dasjenige Einkommen, das der Unterhaltspflichtige bislang, bis zur Insolvenzantragstellung, tatsächlich erzielt hat.[444]

 

Rz. 345

Zur Ermittlung der konkreten Höhe der dem Unterhaltsschuldner anzurechnenden fiktiven Einkünfte werden diese um den jeweiligen Selbstbehalt bereinigt.[445] Dieser ist gegebenenfalls zu reduzie...

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