Rz. 297

Der Eigenbedarf (Selbstbehalt) begrenzt die Leistungspflicht und damit die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners, indem das Tatbestandmerkmal des § 1603 Abs. 1 "außerstande" die Grenze zieht zwischen dem Betrag seines Einkommens, der dem Unterhaltsschuldner für sich verbleiben muss, weil er ihn zur Deckung seines eigenen Bedarfs benötigt, und dem der für die Zahlung von Unterhalt zur Verfügung steht. § 1603 Abs. 1 teilt das Einkommen des Unterhaltsschuldners somit in einen Teil der beim Schuldner verbleibt, nämlich der Selbstbehalt (Eigenbedarf), und den Teil in dessen Höhe der Schuldner leistungsfähig ist, also Unterhalt leisten kann.

a) Angemessener/notwendiger Selbstbehalt

 

Rz. 298

§ 1603 Abs. 2 Satz 1 verschiebt nun für den Unterhalt minderjähriger Kinder die Abgrenzungslinie im Bereich des Einkommens des Unterhaltsschuldners zwischen Selbstbehalt und Leistungsfähigkeit des § 1603 Abs. 1 in Richtung Existenzminimum des Unterhaltsschuldners bis hin zum notwendigen Eigenbedarf, um den Anteil des Einkommens zu erhöhen, aus dem der Unterhalt geleistet wird, also um die Leistungsfähigkeit zu steigern.

§ 1603 Abs. 2 Satz 2 erweitert das Erfordernis "der Verschiebung des Selbstbehalts" vom angemessen (§ 1603 Abs. 1) zum notwendigen (§ 1603 Abs. 2 Satz 1) auf die volljährigen unverheirateten Kinder bis Vollendung des 21. Lebensjahrs, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden.

 

Rz. 299

Über den jeweiligen Eigenbedarf wird also die Höhe des Einkommensanteils bestimmt, der dem Unterhaltsschuldner zu verbleiben hat (Selbstbehalt), und die Höhe des Einkommensanteils, die zur Leistung von Unterhalt zur Verfügung steht (Leistungsfähigkeit). Schlussendlich definiert der Eigenbedarf den Haftungsmaßstab im Verwandtenunterhalt.

 

Rz. 300

 

Praxistipp

Der Eigenbedarf wird immer durch das jeweilige Unterhaltsschuldverhältnis bestimmt. Schuldet der Unterhaltspflichtige mehreren Personen Unterhalt, so ist sein Eigenbedarf jeweils unter Beachtung der Rangverhältnisse zu bestimmen. Gegenüber minderjährigen und privilegiert volljährigen Kindern hat dem Unterhaltsschuldner der notwendige Eigenbedarf, gegenüber allen anderen Kindern der angemessene Selbstbehalt zu verbleiben.

b) Höhe der jeweiligen Selbstbehalte

 

Rz. 301

Grundsätzlich ist die Bemessung der Höhe des Selbstbehalts im jeweiligen Unterhaltsschuldverhältnis Sache des Tatrichters, der unter Anwendung der geltenden Rechtsgrundsätze zu einem im Einzelfall angemessenen Ergebnis kommen soll.[377]

Als Arbeitshilfe wurden in der Praxis Unterhaltsrichtlinien, Tabellen und Verteilungsschlüssel entwickelt, denen mittlerweile die Rechtsqualität von anerkannten Erfahrungssätzen zukommt.[378] Insbesondere soll durch die Anwendung dieser Erfahrungssätze bei Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessener Unterhalt" eine möglichst gleichmäßige Behandlung gleichartiger Lebenssachverhalte gewährleistet werden.[379]

 

Rz. 302

Hieraus wird deutlich, dass die sich aus der Tabelle für die Tabellenfamilie, die seit 1.1.2010 aus zwei Erwachsenen und einem Kind besteht, ergebenden Werte nicht absolut, sondern im Einzelfall unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände sehr wohl veränderlich sind.[380]

 

Rz. 303

 

Praxistipp

Es ist Sache des anwaltlichen Vertreters dem Gericht die Umstände aufzuzeigen, die im konkreten Sachverhalt zu einer Abweichung von den Erfahrungssätzen, wie sie in der Tabelle wiedergegeben werden, führen. So kann z.B. die Herab- oder Höherstufung in der Düsseldorfer Tabelle angezeigt sein, da der Sachverhalt von der Tabellenfamilie abweicht, indem mehr oder weniger Unterhaltspflichten zu bedienen sind.

[377] BGH FamRZ 2012, 530 = FuR 2012, 255.
[378] BGH FamRZ 1992, 795.
[379] BGH FamRZ 1984, 374.
[380] BGH FamRZ 1989, 272.

aa) Der notwendige Selbstbehalt (§ 1603 Abs. 1)

 

Rz. 304

Im Verhältnis zu minderjährigen und privilegiert volljährigen Kindern stellt der notwendige Selbstbehalt die unterste Grenze der Inanspruchnahme des Unterhaltsschuldners dar.[381] Der notwendige Selbstbehalt beträgt nach der Düsseldorfer Tabelle bei Erwerbstätigen seit 1.1.2023 1.370 EUR, beim Nichterwerbstätigen 1.120 EUR, wobei jeweils ein Betrag in Höhe von 520 EUR für Unterkunft, umlagefähige Nebenkosten und Heizung enthalten ist.

[381] BGH FamRZ 2009, 314 = FuR 2009, 162 m.w.N.

bb) Der angemessene Selbstbehalt (§ 1603 Abs. 2)

 

Rz. 305

Gegenüber Unterhaltsansprüchen volljähriger Kinder steht dem Unterhaltsschuldner der angemessene Selbstbehalt in Höhe von 1.650 EUR zu. In diesem Betrag sind 650 EUR für Warmmiete enthalten.[382] Nach Auffassung des BGH ist nicht zu beanstanden, dass beim angemessenen Selbstbehalt im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit des Unterhaltsschuldners keine Unterscheidung – wie dies beim notwendigen Selbstbehalt der Fall ist – erfolgt.[383]

 

Rz. 306

Die nachfolgenden Selbstbehalte werden an dieser Stelle lediglich der Vollständigkeit halber und als "griffbereite" Arbeitshilfe für das jeweilige Unterhaltsschuldverhältnis in der gebotenen Kürze dargestellt.

[382] DT 2023, Anm. A 5.
[383] BGH FamRZ 2006, 1099.

cc) Der Mindestselbstbehalt gegenüber dem getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten und gegenüber der Mutter eines nichtehelichen Kindes (§ 1615l)

 

Rz. 307

Der Mindestselbstbehalt hat dem Unterhaltsschuldner sowohl geg...

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