1. Allgemeines

 

Rz. 141

Eine Haftung/Mithaftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist auch und gerade im Straßenverkehr von Bedeutung. Die Verkehrssicherungspflicht ist eine allgemeine Rechtspflicht, die auf dem Gedanken beruht, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, hierbei verpflichtet ist, sämtliche notwendigen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass Dritte nicht geschädigt werden.

 

Rz. 142

Hierbei sind die Vorkehrungen zu treffen, die im Rahmen der wirtschaftlichen Zumutbarkeit geeignet sind, Gefahren von Dritten nach Möglichkeit abzuwenden (BGH NJW 1985, 1076). Geschützt werden sowohl Dritte, die mit der Gefahrenquelle bestimmungsgemäß in Verbindung kommen, aber auch diejenigen, die bestimmungswidrig mit der Gefahrenquelle in Berührung kommen, sofern die bestimmungswidrige Berührung nicht ganz fernliegend war (BGH NJW 1978, 1629).

 

Rz. 143

 

Beispiel

Wer eine Baustelle einrichtet, hat auch dann, wenn er das Betreten der Baustelle allgemein untersagt, dafür Sorge zu tragen, dass keine Kleinkinder beim Spielen mit den Gefahren der Baustelle (beispielsweise Baugrube o.Ä.) in Kontakt kommen.

 

Rz. 144

Wer über die Gefahrenquelle derart verfügen kann, dass er in der Lage ist, Gefahren für andere zu vermeiden, ist auch verpflichtet, auf die Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht zu achten.

 

Rz. 145

Die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf einen anderen ist grundsätzlich möglich, bedarf aber einer klaren Vereinbarung. Derjenige, der die Verkehrssicherungspflicht übernimmt, ist ab dem Zeitpunkt der Übernahme persönlich Dritten und dem Übertragenden gegenüber deliktsrechtlich verantwortlich. Der Übertragende selbst wird von seiner Verkehrssicherungspflicht gegenüber Dritten aber nicht gänzlich befreit. Ihn treffen nach wie vor strenge Kontroll- und Überwachungspflichten (BGH NJW-RR 1989, 394).

2. Beweislast

 

Rz. 146

Der Geschädigte muss den objektiven Pflichtverstoß des Verkehrssicherungspflichtigen sowie die kausale Herbeiführung des Schadens beweisen.

 

Rz. 147

Der Verkehrssicherungspflichtige muss sodann darlegen und beweisen, dass er alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen zum Schutze Dritter getroffen hat.

 

Rz. 148

Was an einzelnen Maßnahmen erforderlich ist, bestimmt sich nach der Sorgfalt, die in Anlehnung an § 276 BGB von dem Verkehrssicherungspflichtigen erwartet werden kann. Der Verkehrssicherungspflichtige hat sich hierbei insbesondere an dem Personenkreis auszurichten, der bestimmungsgemäß mit der Gefahrenquelle in Berührung kommt.

 

Rz. 149

 

Beispiel

Wird in einem Kaufhaus ein im Boden liegender Heizungsschacht vorübergehend zum Reinigen geöffnet, liegt eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor, wenn der Kaufhausbetreiber während der Ladenöffnungszeiten lediglich ein Hinweisschild aufstellt mit der Aufschrift "Vorsicht, Fallgrube". Zu den Geschäftszeiten muss damit gerechnet werden, dass das Schild z.B. von kleinen Kindern oder Sehbehinderten nicht gelesen wird.

 

Rz. 150

Wenn nach Geschäftsschluss bestimmungsgemäß allenfalls noch Mitarbeiter im Hause sind, hat der Kaufhausinhaber der verkehrserforderlichen Sorgfalt mit dem Aufstellen des Schildes genügt.

3. Verkehrssicherungspflicht im Straßenverkehr

a) Allgemeines

 

Rz. 151

Typischerweise spielt die Frage der Verkehrssicherungspflichtverletzung im Straßenverkehrsrecht in folgenden Fällen eine Rolle:

wenn sich Verkehrsunfälle durch unzureichende Kennzeichnung von Gefahrenstellen ereignen
wenn Fahrbahnunebenheiten oder übermäßig rutschige Fahrbahnbeläge zum Entstehen des Schadens beigetragen haben
bei Verletzung der Räum- und Streupflicht
bei Straßenbauarbeiten
wenn Einrichtungen eines Straßenbaulastträgers oder von ihm verwaltete Baumbestände eine Unfallursache gesetzt haben.
 

Rz. 152

In all diesen Fällen ist die Eingangsüberlegung, ob eine Haftung aus § 823 BGB oder § 839 BGB in Frage kommt, seit der Entscheidung des BGH in NJW 1979, 2043 überholt, da der BGH hierzu festgestellt hat, dass das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB bei Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht durch einen Träger öffentlicher Gewalt nicht eingreift. Gleiches gilt in den Fällen, in denen ein Träger öffentlicher Gewalt (Beamter) am allgemeinen Verkehr teilnimmt und hierbei einen Verkehrsunfall verursacht (BGH VersR 1994, 347).

 

Rz. 153

Das Verweisungsprivileg ist hingegen anwendbar, wenn ein Amtsträger bei der dienstlichen Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr Sonderrechte nach §§ 35, 38 StVO (Einsatz von Blaulicht und Martinshorn) in Anspruch nimmt (BGH VersR 1991, 925).

b) Räum- und Streupflicht

 

Rz. 154

Im Rahmen des Straßenverkehrs kommt eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht insbesondere bei Verletzung der winterlichen Räum- und Streupflicht in Betracht.

 

Rz. 155

Die Räum- und Streupflicht trifft grundsätzlich denjenigen, der den Verkehr eröffnet. Dies sind bei Kreisstraßen regelmäßig die Kreise, bei Landes- und Bundesstraßen grundsätzlich die Länder, da die Verkehrssicherungspflicht dem obliegt, der die Verwaltung der Straßen tatsächlich inne hat (BGH VersR 1959, 228).

 

Rz. 156

Gemäß Art. 90 Abs. 2 GG werden die Bundesstraßen k...

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