Rz. 874

Das Verwaltungsrecht ist eine besonders komplexe Materie, die sich schwer überschauen lässt, denn es werden dabei zahlreiche Gesetze relevant. Die maßgeblichen Gesetze sind solche des Bundes- und des Landesrechts sowie solche des europäischen Unionsrechts. Aufgrund der Delegation der gesetzgeberischen Gewalt auf die Europäische Union durch den deutschen Verfassungsgesetzgeber in Art. 23 Abs. 1 GG gehört das Unionsrecht ebenfalls zu den in Deutschland zwingend anzuwendenden Rechtsnormen. Europäisches Unionsrecht ist vor allem relevant, wenn der zugrunde liegende Sachverhalt einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist oder eine Diskriminierung erkennen lässt. Selbst für einen Fachanwalt für Verwaltungsrecht sind die Gefahren, die sich mit Mandaten aus dem Verwaltungsrecht ergeben sehr groß. Denn es ist zum einen kaum möglich die Fachgesetze der einzelnen Bundesländer alle zu beherrschen. Zum anderen ist aber auch der Gesetzgeber im besonderen Verwaltungsrecht wie bspw. dem Baurecht und dem Umweltrecht sehr aktiv.

 

Rz. 875

Gem. § 29 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde den Beteiligten im Verwaltungsprozess Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Nach § 29 Abs. 3 VwVfG erfolgt die Akteneinsicht bei der Behörde, die die Akten führt. Im Einzelfall kann die Einsicht auch bei einer anderen Behörde oder bei einer diplomatischen oder berufskonsularischen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland erfolgen, auch können durch die Behörde, die die Akten führt, weitere Ausnahmen gestattet werden.

 

Rz. 876

Gerade in Bau- oder Umweltrechtsfällen ist es oftmals geboten, einen Besichtigungstermin vor Ort mit dem Mandanten zu vereinbaren, um sich über die tatsächlichen Gegebenheiten ein Bild zu machen. Somit stehen dem Rechtsanwalt ausreichende Informationsquellen zur Verfügung. Zwar kann grds. ein Rechtsanwalt solange auf die Richtigkeit tatsächlicher Angaben seines Mandanten vertrauen, als er die Unrichtigkeit weder kennt noch erkennen muss.

 

Rz. 877

Dies gilt aber dort nicht, wo es sich um sog. Rechtstatsachen handelt, zu denen die Urteilszustellung gehört; in einem solchen Fall darf sich der Anwalt keineswegs ohne Weiteres mit der Auskunft des Mandanten zufrieden geben, sondern muss ggf. durch Rückfragen eine eigene Klärung herbeiführen.[667]

 

Rz. 878

Die Pflicht zur Klärung des Sachverhaltes und zu einer lückenlosen rechtlichen Würdigung ist besonders wichtig in den im Verwaltungsrecht vorkommenden Drittbetroffenenkonstellationen. Der klassische Fall ist im besonderen Verwaltungsrecht, dem Baurecht, die Baunachbarklage, bei der es besonders wichtig ist, dass der Rechtsanwalt alle nötigen Informationen über Fristen, Vorliegen einer Baugenehmigung, Ortskenntnis u.a. hat.

 

Rz. 879

Im Verwaltungsverfahren gilt zum einen der Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 24 VwVfG und zum anderen die Mitwirkungspflicht der Beteiligten nach § 26 Abs. 2 VwVfG. Zu den Mitwirkungspflichten gehört es, nicht offenkundige oder nahe liegende Tatsache, die in der Sphäre des Betroffenen liegen, vorzutragen.[668]

 

Rz. 880

Auch im Verwaltungsprozess gilt gem. § 86 Abs. 1 VwGO der Amtsermittlungsgrundsatz, dem auch hier eine Mitwirkungspflicht der Beteiligten gegenübersteht. Allerdings erstreckt sich die Mitwirkungspflicht der Beteiligten bei der Aufklärung des Sachverhalts durch das Tatsachengericht sich nicht auf solche Tatsachen, die nicht in ihren Erkenntnisbereich und nicht in ihre Sphäre fallen.[669]

 

Rz. 881

Jedoch gilt auch im Verwaltungsprozess die Dispositionsmaxime, an die besondere anwaltliche Pflichten geknüpft sind. Auf das Verwaltungsrecht bezogen muss der Rechtsanwalt daher erkennen, wer der richtige Klagegegner ist und ob überhaupt der Weg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. So hat der BGH im Urt. v. 12.5.2011[670] entschieden, dass eine Pflichtverletzung vorliegt, wenn ein Rechtsanwalt die Vergütung eines Baustatikers beim Bauherrn und nicht beim als untere Baurechtsbehörde passivlegitimierten Landkreis anfordert. Die Vergütung der Prüfingenieure für Baustatik schuldete ausschließlich die Bauaufsichtsbehörde. Der zwischen dem Kläger und dem Bauherrn geschlossene Vertrag änderte hieran nichts. Diese Klage war somit aussichtslos. Nach Verweisung an das zuständige Verwaltungsgericht hat der Rechtsanwalt, statt unverzüglich den Landkreis zu verklagen, diesem nur den Streit verkündet, obwohl die Verwaltungsgerichtsordnung eine Streitverkündung nicht vorsieht.

 

Rz. 882

In der Verwaltungsgerichtsordnung ist vielmehr die Beiladung nach § 65 VwGO einschlägig. Der Beigeladene nimmt im Verwaltungsprozess die Stellung eines Beteiligten gem. § 63 Nr. 3 VwGO ein. Damit erhält er rechtliches Gehör, auch wenn er keine Anträge stellt. Beim Stellen von Anträgen sollte der Mandant aber unbedingt über die Kostenfolge des § 154 Abs. 3 VwGO aufgeklärt werden. Danach können dem Beigeladenen die Kosten nur auferlegt werden, wenn er Antr...

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