Rz. 15

Um in die Rechtsstellung des Erblassers eintreten zu können, § 1922 BGB, ist die Erbfähigkeit des Rechtsnachfolgers notwendig. Erbfähig ist, wer zurzeit des Erbfalls lebt, § 1923 BGB. Der nasciturus ist aufgrund einer gesetzlichen Fiktion bereits erbfähig, obwohl er noch nicht rechtsfähig ist, § 1 BGB. Hierbei ist allerdings Voraussetzung, dass das Kind lebend zur Welt kommt; erst zu diesem Zeitpunkt fällt eine Erbschaft an.[16] Nach dem Grundsatz der zeitlichen Koexistenz müssen Erbe und Erblasser zumindest einen Augenblick lang gemeinsam gelebt bzw. eine Rechtspersönlichkeit besessen haben, um als "lebende Personen" gem. § 1923 Abs. 1 BGB zu gelten.

 

Beachte

Die Erbfähigkeit endet mit dem Tod, wobei es nicht auf den Herztod, sondern den Hirntod ankommt.[17]

 

Rz. 16

Steht fest, dass mehrere Personen verstorben sind, sind allerdings hierüber keine Beweise erhebbar, ist nach § 11 VerschollenheitsG vom gleichzeitigen Versterben auszugehen. Die Vorschrift umfasst auch die Fallkonstellationen, in denen der Todeszeitpunkt ungeklärt ist.[18]

 

Praxishinweis

Da der Verschollene Erbe werden kann, solange er nicht für tot erklärt worden ist, § 10 VerschollenheitsG, sollten, um etwaige Erbgänge zu klären, entsprechende Anträge auf Todeserklärung gestellt werden.

 

Rz. 17

Wer zur Erbfolge gelangt, hängt davon ab, ob gesetzliche oder gewillkürte Erbfolge eintritt. Nur wenn Verfügungen von Todes wegen fehlen oder ersatzlos entfallen, gilt die gesetzliche Erbfolge. Beide Erbfolgearten können jedoch auch gleichzeitig zur Anwendung kommen, nämlich dann, wenn der Erblasser nur hinsichtlich eines bestimmten Nachlassteiles letztwillig verfügte. Für den Restnachlass greift dann die gesetzliche Erbfolge ein.

[16] NK-BGB/Kroiß, § 1923 Rn 12.
[17] OLG Köln NJW-RR 1992, 1481.
[18] BayObLG NJW-RR 1999, 1309.

1. Grundsätze des Verwandtenerbrechts, § 1930 BGB

a) Repräsentationssystem und Eintrittsrecht

 

Rz. 18

Der dem Erblasser am nächsten Stehende repräsentiert seinen Stamm und schließt die eigenen Abkömmlinge von der Erbfolge aus (§§ 1924 Abs. 2, 1925 Abs. 2, Abs. 3 S. 1, 1926 Abs. 5, 1928 Abs. 2, 1929 Abs. 2 BGB). Fällt der gesetzliche Erbe weg, treten seine Abkömmlinge in seine erbrechtliche Position, § 1924 Abs. 3 BGB. Dieses Eintrittsrecht resultiert aus dem Prinzip der Erbfolge nach Stämmen. Jeder Abkömmling repräsentiert einen Stamm, wobei jeder Stamm die gleiche Erbquote erhält, § 1924 Abs. 4 BGB. Dass an die Stelle eines zuvor weggefallenen gesetzlichen Erben seine Abkömmlinge eintreten (§ 1924 Abs. 3 BGB), gilt auch dann, wenn ein lebender Abkömmling nicht Erbe wird. Dies kann z.B. durch Ausschlagung, Erbunwürdigkeit oder durch Todesfiktion der Fall sein, ebenso eine testamentarische Enterbung. Das gesetzliche Erbrecht des entfernteren Abkömmlings besteht auch dann, wenn der nähere Abkömmling durch Verfügung von Todes wegen enterbt wurde, wie der BGH jüngst entschieden hat.[19]

 

Praxishinweis

Für Fälle dieser – o.g. – Art sollte in einer letztwilligen Verfügung die Anwachsung des frei werdenden Erbteils an die anderen Erben bestimmt werden, sofern der Erblasser seine eigenen Abkömmlinge enterbt und auch die aus diesem Stamm stammenden Enkel nichts erhalten sollen.

Der Grund hierfür liegt in § 1938 BGB, wonach im Zweifel der Ausschluss nicht für alle weiteren Abkömmlinge gilt. Diese bleiben dann weiterhin erbberechtigt, sodass wegen § 1938 BGB der gesamte Stamm – sofern gewollt – in einer letztwilligen Verfügung ausdrücklich ausgeschlossen werden muss.

 

Praxishinweis

Besondere Vorsicht ist bei gewillkürter Erbfolge anzunehmen, wenn "Abkömmlinge" bei der Erbeinsetzung berücksichtigt werden. Der Begriff der "Abkömmlinge" umfasst nicht nur die eigenen Kinder, sondern auch Kindeskinder und Urenkel, da der Begriff weiter ist als "Kinder".[20]

 

Rz. 19

Ist hingegen ein Erbverzichtsvertrag nach §§ 2346 ff. BGB geschlossen, ist der ganze Stamm des Verzichtenden von der weiteren Erbfolge ausgeschlossen.[21]

 

Rz. 20

Gesetzliche Erben sind die Verwandten gem. der einzelnen Erbenordnung, §§ 1924 ff. BGB, sowie der Ehegatte und der eingetragene Lebenspartner. Im Rahmen der gesetzlichen Erben der ersten bis dritten Ordnung greift das Parentelsystem ein. Der Nachlass wird somit grundsätzlich nach Stämmen und nicht nach der Anzahl der Personen geteilt, wobei gem. § 1930 BGB die nähere Ordnung die entferntere ausschließt. Nach dem Gradualsystem erben die Erben der vierten Ordnung. Dies bedeutet, dass im gleichen Verwandtschaftsgrad zu gleichen Teilen geerbt wird. Zu berücksichtigen ist auch das Repräsentationsprinzip. Es besagt, dass der innerhalb der zum Zuge kommenden Erbenordnung dem Erblasser dem Grad nach am nächsten Stehende seine eigenen Abkömmlinge von der Erbfolge ausschließt. Daher sind bspw. Enkel von den eigenen Eltern auf den Tod der Großeltern ausgeschlossen.

[19] BGH NJW 2011, 1878 ff. m. Anm. Walker, FamRZ 2011, 1051.
[20] BGH, BeckRS 2010, 7142; OLG Oldenburg, BeckRS 2019, 33752, mit Anm. Roth, NJW-Spezial 2020, 135.
[21] Grüneberg/Weidlich, § 2346 Rn 1.

b) Erbfolge nach Stämmen

 

Rz. 21

Die Erbfolge nach Stämmen besagt, dass jeder Abkömmling mit seinen eigenen Abk...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge