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Heben die Ehegatten die Eigenschaft der Wohnung als Ehewohnung nicht ausnahmsweise durch eine wirksame Vereinbarung auf, behält die Wohnung diese Eigenschaft bis zur Rechtskraft der Endentscheidung in der Scheidungssache[50] – wie die Auslegung zeigt.

Hierfür spricht bereits die Bedeutung des Ausdrucks "Ehewohnung" im allgemeinen Sprachgebrauch.[51] Mit dem allgemeinen Sprachgebrauch stimmt der Sprachgebrauch des BGB und des FamFG überein. §§ 1361b, 1567 Abs. 1 S. 2 (eheliche Wohnung), 1568a BGB, §§ 133 Abs. 1 Nr. 2, 137 Abs. 2 Nr. 3, 200, 202, 203 Abs. 3, 204, 205, 209 Abs. 2 FamFG sprechen bis zur Rechtskraft der Endentscheidung in der Scheidungssache von der "Ehewohnung". Insbesondere § 1568a BGB bringt zum Ausdruck, dass die anlässlich der Scheidung zu überlassende Wohnung noch Ehewohnung ist und demnach diese Eigenschaft erst hiernach verliert. Der Überlassungsanspruch nach § 1568a Abs. 1, Abs. 2 BGB, die Ansprüche auf Begründung eines Mietvertrags nach § 1568a Abs. 4, Abs. 5 S. 1 BGB sowie der Eintritt des überlassungsberechtigten Ehegatten in einen bestehenden Mietvertrag kraft Gesetzes im Wege der Sonderrechtsnachfolge gemäß § 1568a Abs. 3 S. 1 BGB setzen tatbestandlich voraus, dass es sich zum Zeitpunkt der Endentscheidung im Verbund (§ 137 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Nr. 3 FamFG) noch um die Ehewohnung handelt; bei isolierten oder abgetrennten Ehewohnungssachen ist maßgebender Zeitpunkt für die Eigenschaft der Wohnung als Ehewohnung, derjenige der Rechtskraft der Endentscheidung in der Scheidungssache.[52]

Allein eine solche Auslegung wahrt die sachliche Übereinstimmung mit sämtlichen genannten Gesetzesbestimmungen, sie verdient daher den Vorzug gegenüber jeder abweichenden, dies nicht gewährleistenden Auslegung, insbesondere einer solchen, die Wohnung verlöre ihre Eigenschaft als Ehewohnung bereits vor Rechtskraft der Endentscheidung in der Scheidungssache.[53] Entgegen einer vielfach vertretenen Ansicht[54] verliert die Wohnung ihre Eigenschaft als Ehewohnung dementsprechend auch nicht aufgrund der Vermutung des § 1361b Abs. 4 BGB.[55] Vielmehr wird das gemäß § 1353 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB bestehende Recht zum Mitbesitz der Wohnung zu einem Recht zum Alleinbesitz modifiziert. Verlöre die Wohnung ihren Charakter als Ehewohnung, wären zudem die früheren §§ 1 ff. HausratsVO a.F. und nunmehr § 1568a Abs. 1, Abs. 2, 1568b BGB in den Fällen, in denen § 1361b Abs. 4 eingreift, nicht anwendbar. Die vormalige Ehewohnungszuweisung wie die Überlassungsansprüche gemäß § 1568a Abs. 1, Abs. 2 BGB, 1568b Abs. 1 BGB setzen voraus, dass es sich noch um die Ehewohnung handelt. Der Anspruch auf Überlassung der Ehewohnung für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung bestünde in einer Vielzahl von Fällen nicht, die Vorschrift wäre weitgehend unanwendbar und daher in einem großen Teil ihres Anwendungsbereich zweck- und funktionslos. Eine solche Auslegung ist systematisch nicht anzunehmen, weil die sachliche Übereinstimmung der Vorschriften nicht gewahrt wäre.[56] Sie widerspricht auch der Regelungsabsicht der Gesetzgeber und dem im Zweck der Norm. § 1361b Abs. 4 BGB soll in der Zeit des Getrenntlebens der Rechtssicherheit dienen und trifft deshalb bloß eine vorläufige Regelung des Nutzungsrechts für eben diesen Zeitraum.[57]

Nur diese Auslegung ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12.5.2006[58] verfassungskonform. Die Vorschriften der HausratsVO, insbesondere die Möglichkeit der Zuweisung der Ehewohnung, dienen hiernach "in Ausformung von Art. 6 Abs. 1 GG" dem Schutz von Ehe und Familie. Die Zuweisung der Ehewohnung (jetzt die Ansprüche auf Überlassung der Wohnung gemäß § 1568a Abs. 1, Abs. 2 BGB) darf deswegen nicht vereitelt werden, ohne dass die in diesen Vorschriften und Art. 6 Abs. 1 GG zum Schutz von Ehe und Familie vorgegebene Interessenabwägung aller Beteiligten unter besonderer Achtung des Wohls der Kinder erfolgt. Das genau geschähe aber, wenn die Ehewohnung ihre Eigenschaft als solche aufgrund der Vermutung des § 1361b Abs. 4 BGB verlöre.

[50] So schon BGHZ 71, 216, 221 ff. Ebendies gilt bei Rechtskraft der Endentscheidungen in Ehesachen nach § 121 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 FamFG.
[51] MüKo-FamFG/Erbarth, § 200 Rn 40.
[52] Vg. zur bisherigen Rechtslage in diesem Sinne Palandt/Diederichsen, 58. Aufl 1999, Anh. §§ 1361a, 1361b BGB, § 1 HausratsVO Rn 14; OLG Düsseldorf FamRZ 1986, 1132.
[53] Ausführlich MüKo-FamFG/Erbarth, § 200 Nr. 41 m.w.N.
[54] Haußleiter/Schulz, Kap. 4 III 5. Rn 37; MüKo-BGB/Weber-Monecke, § 1361b Rn 25; Weber-Monecke, FPR 2010, 555, 559; Staudinger/Voppel, § 1361b Rn 8, 12.
[55] Ausführlich MüKo-FamFG/Erbarth, § 200 Rn 41; ebenso Bork/Jacoby/Schwab, § 200 Rn 3.
[56] Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 205.
[57] Erbarth, FamRZ 2005, 1713, 1716.
[58] FamRZ 2006, 1358 f.

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