Rz. 41

Fernabsatzverträge sind nach § 312c Abs. 1 BGB Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Fernkommunikationsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind alle Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrages eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind, wie Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, über den Mobilfunkdienst versendete Nachrichten (SMS) sowie Rundfunk und Telemedien, § 312c Abs. 2 BGB.

 

Rz. 42

Bei dem Abschluss einer Vergütungsvereinbarung mit dem Mandanten soll nach einer Entscheidung[70] des Amtsgerichts Charlottenburg das Recht über Fernabsatzverträge auf Rechtsanwaltsverträge keine Anwendung finden. Nach der Entscheidung des Gerichts liegt bei dem Abschluss eines Anwaltsvertrags nicht die typische Situation des Fernabsatzes vor.[71] Der Fernabsatzvertrag zeichnet sich dadurch aus, dass für den Verbraucher der jeweilige Vertragspartner unsichtbar ist und er die Ware oder Dienstleistung vor dem Vertragsschluss nicht in Augenschein nehmen kann.[72] Bei dem Rechtsanwaltsvertrag steht hingegen die persönliche Dienstleistung des Rechtsanwalts im Vordergrund. Dies gilt insbesondere für die beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts:

Zitat

"Bei der Rechtsberatung handelt es sich aber gerade um eine Dienstleistung, die durch die persönliche Erbringung durch einen Rechtsanwalt gekennzeichnet ist. Es handelt sich auch stets um eine individuelle auf den Einzelfall bezogene Leistung. (...) Im Ergebnis scheint es dem Gericht daher angemessen den Rechtsanwaltsvertrag, welcher stets individuelle Rechtsberatung des Rechtssuchenden beinhaltet und daher auf dessen Person vor dem Hintergrund des zu beurteilenden Lebenssachverhaltes individuell zugeschnitten ist, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzvertragsrechtes auszunehmen, da es sich um eine durch einen Fachmann individuell zu erbringende Leistung handelt."[73]

Schließlich wird es in der Regel bei dem Abschluss der Vergütungsvereinbarung bzw. des Rechtsanwaltsvertrags an einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystem nach § 312c Abs. 2 BGB fehlen.[74]

 

Rz. 43

Der Entscheidung ist der Bundesgerichtshof im Jahre 2017 entgegengetreten:

Zitat

"Anwaltsverträge sind Verträge über die Erbringung einer Dienstleistung im Sinne von § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB aF und können als solche den Regeln über Fernabsatzverträge unterworfen sein. Der gegenteiligen Auffassung, wonach die Anwendung des Fernabsatzrechts bei Anwaltsverträgen, bei denen eine persönliche Dienstleistung im Vordergrund stehe, allgemein nicht gerechtfertigt sei (vgl. AG Berlin-Charlottenburg, NJW-RR 2016, 184, 185; AG Kleve, Urt. v. 18.5.2017 – 35 C 434/16, juris; aA AG Offenbach, Urt. v. 9.10.2013 – 380 C 45/13, juris, mit Anm. Ernst, NJW 2014, 817 und Schmitt-Gaedke, ZAP Fach 23, 977; AG Düsseldorf, AnwBl. 2017, 92; AG Brandenburg, 13.10.2017 – 31 C 244/16, juris; AG Hildesheim, VuR 2015, 396 mit Anm. Rückebeil), kann nicht gefolgt werden."[75]

 

Rz. 44

Entsprechend unterliegen Anwaltsverträge dem Fernabsatzrecht, soweit der Rechtsanwalt ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem unterhält. Welche konkreten Anforderungen hieran zu stellen sind, muss im Einzelfall entschieden werden, da der Bundesgerichtshof (Mindest-)Anforderungen an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem bis heute nicht formuliert und dies in seinen Entscheidungen[76] offengelassen hat.

In seiner Entscheidung aus dem Jahre 2017 hat der Bundesgerichtshof festgestellt:

Zitat

Wird ein Vertrag – wie hier – ohne persönlichen Kontakt unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Sinne des § 312b Abs. 2 BGB aF geschlossen, wird widerleglich vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines solchen Systems geschlossen wurde. Dies wird durch die Formulierung "es sei denn" in § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB aF zum Ausdruck gebracht. Es obliegt daher dem Unternehmer, in derartigen Fällen darzulegen und zu beweisen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems erfolgt ist.

Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass der Anwaltsvertrag nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem erfolgt sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorliegt, wenn der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, regelmäßig G...

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