Rz. 144

Schwierigkeiten entstehen, wenn der berufliche Daseinsmittelpunkt und der familiäre und/oder soziale Daseinsmittelpunkt auseinander fallen, der Erblasser also in einem Staat wohnt, seiner regelmäßigen Arbeit aber in einem anderen Staat nachgeht, er also von Berufs wegen zwischen zwei verschiedenen Staaten pendelt.[135]

 

Rz. 145

Diesen Fall betrifft Erwägensgrund 24 S. 2 – der Erblasser hat sich aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen in einen anderen Staat begeben, um zu arbeiten, aber eine enge und feste Bindung zu seinem Herkunftsland aufrechterhalten. Leider regelt die ErbVO nicht explizit, ob in einem solchen Fall für die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts die familiären Beziehungen Vorrang vor den beruflichen Beziehungen (bzw. umgekehrt) haben sollen; auch die Erwägensgründe helfen insoweit nicht weiter. In Erwägungsgrund 24 S. 1 wird dazu nur ausgeführt, dass sich die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes in solchen Fällen als "komplex" erweisen kann. Nach Erwägensgrund 24 S. 3 "könnte" in diesem Fall davon ausgegangen werden, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in seinem Herkunftsstaat hat, indem sich in familiärer und sozialer Hinsicht sein Lebensmittelpunkt befand. Ob man damit im Zweifel zu einer vorrangigen Berücksichtigung der familiären/sozialen Beziehungen den beruflichen Beziehungen gegenüber gelangen muss, ist unklar, denn wovon auszugehen ist (im Gegensatz zu: ausgegangen werden "könnte"), bleibt offen.[136] Wenn der EuGH bei der Definition des gewöhnlichen Aufenthalts eines Kindes verstärkt auf die familiären Verhältnisse abstellt, ist das nicht unbedingt auf die Definition des gewöhnlichen Aufenthalts in Erbfällen zu übertragen. Denn im Hinblick auf das Kind geht es vor allem um den Schutz des Kindes (etwa: welcher Staat ist zuständig, Schutzmaßnahmen einzuleiten), ein Aspekt der hier gar nicht in Rede steht.

[135] Zu Art 21 ErbVO Mankowski, IPRax 2015, 39.
[136] Für den Vorrang der sozialen Verbindungen zu Familie und Freunden, also für den vor Vorrang des privaten Wohnsitzes Odersky, notar 2013, 1, 4; Dörner, ZEV 2012, 505, 510.

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