Rz. 114

Die Neuregelung des § 708 BGB (Gestaltungsfreiheit) – § 708 BGB alt regelte die Haftung der Gesellschafter (diligentia quam in suis) – hat folgenden Wortlaut:

 

Von den Vorschriften dieses Kapitels kann durch den Gesellschaftsvertrag abgewichen werden, soweit im Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

 

Rz. 115

§ 708 BGB ist – dem § 109 HGB alt (vgl. auch § 108 HGB) nachgebildet – "gesetzlicher Ausdruck der den Zusammenschluss zu einer Gesellschaft prägenden, neben der Abschlussfreiheit auch die inhaltliche Gestaltungsfreiheit gewährleistenden Privatautonomie der Gesellschafter"[209] und basiert auf der Überlegung, "dass sich das Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander und der Gesellschafter zur Gesellschaft vorrangig nach dem Gesellschaftsvertrag richtet".[210]

 

Rz. 116

Von den Vorschriften dieses Kapitels 2 (Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander und der Gesellschafter zur Gesellschaft) kann durch den Gesellschaftsvertrag nach § 708 BGB (bzw. dessen nachträgliche Änderung durch Gesellschafterbeschluss, wobei die Beschlussfassung nach § 714 BGB selbst auch dispositiver Natur ist) abgewichen werden, soweit im Gesetz nichts anderes bestimmt ist (weitgehende Gestaltungsfreiheit im Innenverhältnis),[211] wodurch die vertraglichen Regelungen des Gesellschaftsvertrags – denen die außervertraglich getroffenen, ihn ändernden oder auch nur einmalig durchbrechenden Gesellschafterbeschlüsse[212] gleichstehen[213] – den gesetzlichen Bestimmungen vorgehen, "soweit ihnen nicht ausdrücklich zwingender Charakter zukommt".[214]

 

Rz. 117

Zwingende Vorschriften, die die Gestaltungsfreiheit begrenzen, sind

§ 715a S. 2 BGB (Notgeschäftsführungsbefugnis),
§ 715b Abs. 2 BGB (Gesellschafterklage – actio pro socio) und
§ 717 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 S. 2 BGB (Informationsrechte und -pflichten).

Außerhalb dieses gesetzlichen Rahmens ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die konkret in Rede stehende Vorschrift dispositiver oder zwingender Natur ist (Normzweck) und dann im letzteren Fall einer abweichenden Regelung im Gesellschaftsvertrag entgegensteht.[215]

 

Rz. 118

Schäfer[216] erachtet auch § 710 BGB (Mehrbelastungsverbot) und § 724 BGB (Fortsetzung mit dem Erben und dessen Recht zum Ausscheiden) entgegen der Gesetzesbegründung als "grundsätzlich zwingender Natur" – ebenso wie das neue Recht nichts daran ändern soll, "dass es grundlegende ungeschriebene Mitgliedschaftsrechte [gibt], die nicht ausgeschossen oder eingeschränkt werden können, also zwingender Natur sind"[217] (unverzichtbare i.S. absolut unentziehbarer [Mitgliedschafts-]Rechte im Individualschutzinteresse, die zum Kernbereich der Mitgliedschaft zählen),[218] wie z.B.[219]

das Recht zur Teilnahme an Gesellschafterversammlungen und Abstimmungen (wozu auch das Rede- und Antragsrecht zählen) oder
Zustimmungsrechte bei Eingriffen in relativ unentziehbare Rechte (Kernbereichsrechte – "unverzichtbarer Kernbereich der Mitgliedschaft").[220]
 

Rz. 119

Kernbereichsrechte (relativ entziehbare, d.h. nur mit Zustimmung der Gesellschafter ganz oder teilweise entziehbare Rechte) sind:

§ 710 BGB – Schutz vor mehrheitlicher Beitragserhöhung,
Stimmrechte,
Vermögensrechte (Gewinn- und Abfindungsrechte[221] bzw. Recht auf anteiligen Liquidationserlös),
Geschäftsführungsrecht (vorbehaltlich einer Entziehung aus "wichtigem Grund", § 715 Abs. 5 BGB).
 

Beachte:

Aus der Beschränkung des Geltungsvorrangs gegenüber gesetzlichen Bestimmungen des zweiten Kapitels kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass die Regelungen der übrigen Kapitel zwingend wären. Vielmehr ist deren zwingender Charakter entweder aus dem Gesetzestext, etwa in den Fällen des

§ 719 Abs. 2 BGB – Entstehung der Gesellschaft,
§ 720 Abs. 3 BGB – Umfang der Vertretungsbefugnis,
§ 721 BGB – persönliche Haftung der Gesellschafter,
§ 721a BGB – Haftung des eintretenden Gesellschafters,
§ 724 Abs. 2 BGB – Ausscheiden des Erben,
§ 725 Abs. 6 BGB – Kündigung der Mitgliedschaft,
§ 731 Abs. 2 BGB – Kündigung der Gesellschaft,
§ 736 Abs. 1 BGB – Gesellschafter als Liquidatoren oder
§ 736a Abs. 1 BGB – gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren

oder aus dem jeweiligen Normzweck, bspw.

§ 722 BGB – Zahlungsverbot bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung; Haftungsfolgen oder
§ 726 BGB – Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger des Gesellschafters

herleitbar.[222]

 

Beachte:

Allgemeine Schranken folgen bspw. aus § 138 BGB bzw. § 134 BGB (im Fall verbotswidriger Klauseln).[223]

 

Vorbemerkung:

Keine Regelung erfahren haben die gleichwohl beibehaltenen allgemeinen Grundsätze,[224] wie das Recht jedes Gesellschafters an Gesellschafterversammlungen teilzunehmen sowie die Treuepflicht (und daraus ableitbar das allgemeine Wettbewerbsverbot), der Gleichbehandlungsgrundsatz und der Grundsatz der Selbstorganschaft. Ausdrücklich geregelt wurden hingegen die

actio pro socio (Gesellschafterklage, § 715b Abs. 2 BGB),
die Unfähigkeit der Gesellschaft, eigene Anteile zu erwerben (§ 7...

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