Rz. 318

Mit dem Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht[635] verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, bei der Forderungseinziehung die Relation zwischen den anfallenden Gebühren und dem tatsächlichen Aufwand zu verändern. Neben der – tatsächlich nicht untersuchten – Behauptung zum geringeren Aufwand wird geltend gemacht, dass eine Geschäftsgebühr, die die Hauptforderung überschreitet, keine gesellschaftliche Akzeptanz findet.

 

Hinweis

Während die erste Behauptung nicht belegt ist, ist die zweite Behauptung sachfremd.

Dass der Aufwand für die vorgerichtliche Einziehung einer Forderung unter 50 EUR im Durchschnitt mit 27 EUR (0,9 aus 30 EUR), auskömmlich gestaltet werden kann, ist weder untersucht noch sonst ersichtlich.[636] Aus diesem Betrag müssen die Personal- und Sachkosten wie etwa auch die Miete und Büroeinrichtung bestritten werden.
Eine Untersuchung in der Schweiz[637] kommt zu einem durchschnittlichen vorgerichtlichen Zeitaufwand für die Forderungseinziehung ab dem Zeitpunkt der erfolglosen 2. vorgerichtlichen Mahnung von 157,9 Minuten.[638] Dabei haben die Experten die durchschnittlichen Aktivitäten in ihrer Art und ihrer Häufigkeit (!) bewertet.[639] Wollte man daran die eigentliche Vergütung von bisher 58,50 EUR (1,3-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert bis 500 EUR) messen, ergibt sich ein Stundenlohn von 22,23 EUR. Davon muss der Rechtsdienstleister noch die Personalkosten und seine allgemeinen Bürokosten sowie die Steuern bestreiten. Auch wenn für Deutschland – bedauerlicherweise – eine vergleichbare Untersuchung fehlt, deutet die Studie jedenfalls nicht darauf hin, dass die bis zum 30.9.2021 im RVG vorgesehenen Gebühren zu niedrig bemessen sind. Dabei muss beachtet werden, dass die Arbeitsschritte in der vorgerichtlichen Forderungseinziehung weit über ein einziges Mahnschreiben hinausgehen und sich die Geschäftsgebühr trotz der weiteren Aktivitäten nicht erhöht. Letztlich ist der Rechtsdienstleister in den unteren Streitwertgruppen eher unterbezahlt, bei höheren Streitwerten überbezahlt. Dem RVG liegt insoweit eine Mischkalkulation zugrunde. Der Nachteil im Masseninkasso: Hier liegt die durchschnittliche Forderung deutlich unter 500 EUR und damit stets in der niedrigsten Streitwertgruppe, davon liegt wieder ein überproportional höher Anteil unter 50 EUR, weil Rechtsanwälte diese Forderungen aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht einziehen wollen. Ein fatales Signal für die Zahlungsmoral, wenn sich diese Sichtweise durchsetzen würde.
Die zweite Behauptung steht in keiner Beziehung zum Aufwand und trägt auch in der Sache nicht. Es kann tatsächlich keine gesellschaftliche Akzeptanz finden, wenn der Schuldner durch die Nichtleistung eine Pflichtverletzung begeht, sich also rechtswidrig verhält. Gerade bei kleinen Forderungen sollte auch die Leistungsfähigkeit kein Hindernis zum Forderungsausgleich darstellen. Dies gilt umso mehr, wenn der Schuldner sich "sehenden Auges" in die Situation der Pflichtverletzung begibt, d.h. trotz mangelnder Leistungsfähigkeit eine Verpflichtung eingeht. Ob eine Forderung 500 EUR, 100 EUR oder 29,90 EUR hoch ist, bleibt dabei wiederum für den Aufwand der vorgerichtlichen Forderungseinziehung zunächst ohne Relevanz. Wollte man hier eine gesellschaftliche Verantwortung der Rechtsanwälte oder Inkassodienstleister sehen, hätte der Gesetzgeber an anderer Stelle eine Kompensation finden müssen.
[635] BGl. I 2020, 3320, hierzu BT-Drucks 19/20348.
[636] Vgl. hierzu auch Leutheusser-Schnarrenberger/Goebel, Neue Wege bei der Bekämpfung unseriösen Inkassos, NJW 2017, 3207.
[637] Bergmann, Universität St. Gallen, Gläubigerschaden aus Zahlungsverzug, Februar 2017 S. 18
[638] Dem Einwand, dass dies nicht für das Masseninkasso gelten könne, kann entgegengehalten werden, dass an der Untersuchung auch Experten von Krankenkassen teilgenommen haben. Vgl. zum Arbeitsaufwand im Masseninkasso unter Berücksichtigung des Einzelfalles auch die Vorauflage 2016, R. 8, 11 ff.
[639] Bergmann, a.a.O. Tabelle der Tätigkeitsbeschreibungen, S. 19 ff.

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