Rz. 227

Noch komplizierter werden die Fälle, wenn der Erblasser mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der EuErbVO verstorben ist.

 

Rz. 228

 

Abwandlung von Beispiel 1 (Rdn 212)

Der iranische Staatsangehörige verstirbt mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Toulouse. Er hinterlässt Vermögen in Deutschland, in Frankreich und im Iran.

 

Rz. 229

Gemäß Art. 4 EuErbVO sind aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers die französischen Behörden zuständig, ein Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ) auszustellen. Sie wenden – da aus französischer Sicht ein bilaterales Abkommen mit dem Iran über die Rechtsanwendung auf dem Gebiet des Erbrechts nicht besteht – gem. Art. 21 EuErbVO französisches Erbrecht an. Dieses französische ENZ wäre gem. Art. 69 EuErbVO in Deutschland anzuerkennen, obgleich aus deutscher Sicht der in Deutschland belegene Nachlass sich nach iranischem Erbrecht vererbt. Sollte ein Grundbuchamt das französische ENZ akzeptieren und die nach französischem Recht bestimmten Erben in das Grundbuch eintragen, so würde das Grundbuchamt hierbei gegen Art. 8 Abs. 3 des Deutsch-Persischen Niederlassungsabkommens verstoßen. Das wäre nicht mit Art. 75 Abs. 1 EuErbVO vereinbar, denn diese Regel soll gerade den Konflikt mit dem bilateralen Abkommen vermeiden und es den deutschen Behörden ermöglichen, entsprechend den völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Niederlassungsabkommen den Nachlass des iranischen Erblassers nach dem iranischen Heimatrecht abzuhandeln (vgl. dazu EG 73 EuErbVO).

 

Rz. 230

Eine Lösung dieses Problems wurde bislang in der Literatur – soweit ersichtlich – noch nicht vorgebracht. Man sollte m.E. diese Fälle unter der EuErbVO so behandeln wie vor dem Anwendungsstichtag für die EuErbVO eingetretene Erbfälle. Bei diesen findet gem. Art. 83 Abs. 1 EuErbVO die EuErbVO insgesamt keine Anwendung. Das entspricht in beiden Fällen dem Grundsatz der EuErbVO, wonach die gegenseitige Anerkennung von erbrechtlichen Entscheidungen und Nachlasszeugnissen darauf beruht, dass der Urteilsstaat das anwendbare Recht nach denselben Regeln ermittelt hat, die auch im Anerkennungsstaat gelten. Die EuErbVO ist aus Sicht des durch das bilaterale Abkommen gebundenen Staates also insoweit nicht anwendbar, wie der Nachlass in den sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens fällt (im Fall des iranischen oder eines türkischen Erblassers also der gesamte in Deutschland belegene Nachlass, im Fall eines Angehörigen der Russischen Föderation ausschließlich die in Deutschland belegenen Grundstücke, etc.). Aus Sicht der anderen Mitgliedstaaten wiederum wäre ein von einem deutschen Gericht auf der Basis des bilateralen Abkommens ergangenes Urteil nicht nach den Regeln der EuErbVO anzuerkennen. Für die deutschen Gerichte ergibt sich umgekehrt, dass diese bei Einschlägigkeit eines bilateralen Abkommens nicht nur in Bezug auf die Rechtsanwendung, sondern auch in Bezug auf die internationale Zuständigkeit von den Regeln der EuErbVO befreit sind. Im Gegenzug dürfen sie kein ENZ ausstellen, sondern allenfalls ein Nachfolgezeugnis nach nationalem Recht.[153] Ein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes ENZ müsste im Anwendungsbereich des bilateralen Abkommens im Inland nicht gem. Art. 69 EuErbVO anerkannt werden.

 

Rz. 231

In der Fallabwandlung könnte das Grundbuch daher ausschließlich aufgrund eines von einem deutschen Nachlassgericht ausgestellten Erbscheins berichtigt werden.

[153] Legt man die Abkommen dahingehend aus, dass in Drittstaaten belegenes Vermögen von den bilateralen Abkommen nicht erfasst wird (siehe Rdn 223 m.w.N.), stellt sich diese Frage freilich nicht, denn dann würde das "zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat" bestimmte Europäische Nachlasszeugnis (Art. 62 Abs. 1 EuErbVO) ohnehin Vermögen betreffen, das nicht vom bilateralen Abkommen erfasst wird, so dass das anwendbare Recht (auch bei einem iranischen Erblasser) gem. Kapitel III der EuErbVO bestimmt werden könnte.

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