Rz. 205

Eine besonders komplexe Regelung enthält der Konsularvertrag zwischen der Türkischen Republik und dem Deutschen Reich vom 28.5.1929:[139]

Zitat

Art. 20

In Ansehung der in dem Gebiete des einen vertragsschließenden Staates befindlichen Nachlässe von Angehörigen des anderen Staates haben die Konsuln die aus der Anlage dieses Vertrages ersichtlichen Befugnisse.

 

Rz. 206

Die Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrages enthält ein umfangreiches Nachlassabkommen, das nicht nur Kollisionsnormen zum Erbstatut und zum Formstatut, sondern darüber hinausgehend auch Regeln zur internationalen Zuständigkeit der Gerichte und zur gegenseitigen Anerkennung von Urteilen enthält. Art. 20 Nachlassabkommen regelt das auf die Erbfolge anwendbare Recht wie folgt:

Zitat

§ 14

(1) Die erbrechtlichen Verhältnisse bestimmen sich in Ansehung des beweglichen Nachlasses nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zur Zeit seines Todes angehörte.

(2) Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Angehöriger dieses Landes gewesen wäre.

 

Rz. 207

Während die Anknüpfung des Erbstatuts für das bewegliche Vermögen mit dem in Deutschland bislang geltenden Staatsangehörigkeitsprinzip harmonisierte, widersprach die Geltung der lex rei sitae für Immobilien dem Grundsatz der Nachlasseinheit des deutschen IPR (sie entspricht allerdings den in der Türkei geltenden autonomen kollisionsrechtlichen Regeln des türkischen IPR-Gesetzes aus dem Jahre 2007). In der Türkei belegene Immobilien eines deutschen Erblassers und in Deutschland belegene Immobilien eines türkischen Erblassers führten daher zwingend zu einer Nachlassspaltung. Mit der EuErbVO werden sich die Spannungen noch erhöhen, da die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der Grundsatzanknüpfung nach Art. 21 EuErbVO widerspricht. Darüber hinaus ist die EuErbVO in Bezug auf die Nachlassspaltung erheblich weniger tolerant als das deutsche autonome IPR, welches hinsichtlich der in der Türkei belegenen Immobilien die Geltung der lex rei sitae auch ohne Abkommen über Art. 3a Abs. 2 EGBGB akzeptiert hätte.

 

Rz. 208

Wegen der großen Anzahl türkischer Staatsangehöriger, die in Deutschland leben bzw. Grundbesitz haben, aber auch wegen der zunehmenden Anzahl von Immobilien, die Deutsche an der türkischen Riviera zu Urlaubszwecken oder zur dauernden Bewohnung im Alter erworben haben, hat das Deutsch-Türkische Nachlassabkommen schon rein quantitativ gesehen erhebliche faktische Bedeutung. Wegen der großen Ähnlichkeiten zwischen dem deutschen und dem türkischen materiellen Erbrecht – welches weitgehend dem Schweizer Erbrecht entspricht[140] –, sind die tatsächlichen Auswirkungen aus der Anwendung des türkischen Rechts aber erheblich geringer als z.B. beim Deutsch-Iranischen Abkommen.[141]

[139] RGBl 1930 II, S. 747; in Kraft getreten am 18.9.1931, RGBl 1931 II, S. 538. Nach dem Krieg wieder anwendbar gemäß der Bekanntmachung der Wiederanwendung vom 29.2.1952, BGBl 1952 II, S. 608. Ausführlich hierzu z.B. Damar, IPRax 2012, 278; Dörner, ZEV 1996, 90; Staudinger/Dörner, Neubearb. 2007, Vorbem. zu Art. 25 f. EGBGB Rn 160 ff.; Müller/Schlitt/Emmerling de Oliveira, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2010, Türkei, § 15 Rn 642; Emmerling de Oliveira/Heggen, notar 2010, 38; Kremer, IPRax 1981, 205; Krüger, in: FS Ansay, 2006, S. 131; Bamberger/Roth/St. Lorenz, BGB, 3. Aufl. 2012, Art. 25 EGBGB Rn 6 ff.; Majer, ZEV 2012, 182.
[140] Dazu Serozan, ZEV 1997, 473.
[141] Die Eigenheiten des im Iran geltenden islamischen Erbrechts führen dazu, dass in Erbfällen nach iranischen Staatsangehörigen von den Gerichten das sich aus dem iranischen Erbrecht ergebende Ergebnis regelmäßig, u.U. sogar an mehreren Stellen, durch den deutschen ordre public modifiziert wird, so dass auch hier im Ergebnis die Abweichungen zum deutschen Recht geringer sind, als es zunächst scheint (vgl. z.B. OLG München ZErb 2012, 220).

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