Rz. 75

Im Streitfall hat das Gericht auch die Übernachtungen zu regeln,[281] da die Eltern gerade in vermeintlich kleinen Streitpunkten einen Anspruch auf gerichtliche Entscheidung haben. Die Übernachtungen eines Kindes beim nicht betreuenden Elternteil haben bei der Erhaltung und Verbesserung der kindlichen Beziehung zu diesem Elternteil erhebliche Bedeutung.[282] Hinsichtlich des Kindesalters, ab dem Übernachtungen in Betracht kommen, gibt es keinerlei feste Grenze.[283] Stets entscheiden die Einzelfallumstände.[284] Gegen eine Übernachtung eines zweijährigen, noch von der Mutter gestillten Kindes beim Vater ist nichts einzuwenden;[285] die Milch kann abgepumpt und mitgegeben werden. Bedeutung kann der Stabilität des Verhältnisses zwischen Kind und Elternteil ebenso zukommen wie der Frage, inwieweit es sich bei der Wohnung des Elternteils um eine für das Kind vertraute Umgebung handelt[286] und ob die Wohnung dem Grunde nach eine angemessene Unterbringung – insbesondere eine ausreichende Schlafmöglichkeit – ermöglicht.[287] Allein aus dem Fehlen eines spezifischen Kinderbetts oder der Beengtheit der Wohnverhältnisse insgesamt kann allerdings keine Einschränkung der Umgangskontakte abgeleitet werden.[288] Möchte wiederum das Kind aus nachvollziehbaren Gründen an den Wochenenden jeweils nur einmal beim Umgangsberechtigten übernachten, so ist dieser Wunsch bei der Entscheidung zu berücksichtigen.[289] In besonderen Einzelfällen mögen Übernachtungen auch aus organisatorischen Gründen nicht realisierbar sein;[290] insoweit ist allerdings Zurückhaltung geboten

 

Rz. 76

Falls das Gericht eine gestaffelte Umgangsregelung erlässt, nach der Übernachtungen erst ab einem gewissen Alter des Kindes stattfinden sollen, muss die diesbezügliche Regelung sprachlich exakt gefasst werden. So bedeutet etwa die Formulierung "ab dem vierten Lebensjahr" in Abwesenheit gegenteiliger Anhaltspunkte "ab Vollendung des dritten Lebensjahres.[291]"

 

Rz. 77

Eine Umgangsregelung ohne Übernachtung hält sich jedenfalls bei einem kleinen Kind solange noch im Rahmen des durch § 1684 Abs. 1 dem Richter eröffneten Ausgestaltungsspielraums, wie dadurch nicht aufgrund großer Entfernung zwischen den Wohnorten des Umgangsberechtigten und des Kindes eine faktische Umgangseinschränkung entsteht, die dann an § 1684 Abs. 4 BGB zu messen wäre.[292] Allerdings bedarf der Ausschluss von Übernachtungen auch bei geringer Distanz dieser Wohnorte besonderer Rechtfertigung, weil Übernachtungen des Kindes beim umgangsberechtigten Elternteil in der Regel dem Kindeswohl entsprechen.[293] Denn sie sind grundsätzlich geeignet, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu festigen und dazu beizu­tragen, dass dieser vom Kind nicht ausschließlich als "Sonntagselternteil" erlebt wird.[294] Für Übernachtungen kann zusätzlich der Umstand streiten, dass der umgangsberechtigte Elternteil mitsorgeberechtigt ist. Eingewöhnungsproblemen kann ggf. durch eine angemessene Staffelung der Regelung Rechnung getragen werden. Letztlich darf auch nicht verkannt werden, dass es dem Entwicklungsprozess von Kindern grundsätzlich nicht dient, sie unter eine "Schutzglocke" zu legen und ihnen damit alle familiären Auseinandersetzungen ersparen zu wollen. Auch Kinder müssen lernen, durch neue Strukturen, durch Veränderungen vielfältiger Art belastet zu werden, aus deren Wirklichkeit sie neue Kräfte beziehen. Kinder werden nicht dadurch lebenstüchtig, dass sie in überbehüteter und einseitig auf die Vorstellungen eines Elternteils ausgerichteter Weise erzogen werden, sondern auch darin, dass ihnen die Realität – in Gestalt eines umgangsberechtigten Elternteils und dessen Lebensweise – angemessen deutlich wird.[295]

 

Rz. 78

Gegenteilige frühere Entscheidungen sind hiermit überholt.[296] Ebenso überholt ist die Annahme, dass das Kind in der Woche seinen Tagesablauf von seinem Lebensmittelpunkt aus beginnen soll.[297] Bei entsprechend engen Bindungen eines Kindes an den umgangsberechtigten Elternteil spricht nichts dagegen, dass sich ein Umgangskontakt bis Montagmorgen erstreckt und das Kind unmittelbar zur Schule gebracht wird. Ist der betreuende Elternteil berufstätig, so kann sich für ihn hieraus sogar eine persönliche Entlastung ergeben. Hingegen kann es – bei bestehenden Spannungen zwischen den Eltern – ein Kind überfordern, zusätzlich zu den 14-tätigen Wochenendumgängen noch einmal in jeder Woche beim Umgangsberechtigten zu übernachten.[298] Dies gilt insbesondere, wenn der Umgangsberechtigte einen bestehenden Loyalitätskonflikt des Kindes noch angeheizt hat, indem er mit dem Kind außerhalb der Umgangszeiten heimlich SMS ausgetauscht hat, in denen der betreuende Elternteil herabgesetzt wird.[299]

[281] AG Holzminden FamRZ 1997, 47.
[282] Ebenso Horndasch, Besondere Umgangssituationen, NZFam 2014, 884, 885 m.w.N.
[283] BVerfG FamRZ 2007, 105; Anm. Völker, FamRB 2007, 73 und jurisPR-FamR 10/2007, Anm. 1; BVerfG FamRZ 2007, 1078; Anm. Völker, FamRB 2007, 234; BVerfG FamRZ 2005, 871; OLG Saarbrücke...

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