Rz. 40

Ein wichtiges Thema bei der Verteidigung im Verkehrsstrafrecht bzw. in Bußgeldangelegenheiten liegt in der Bindungswirkung von gerichtlichen Entscheidungen bzw. den Einstellungsverfügungen durch die Staatsanwaltschaft.

 

Rz. 41

Die Fahrerlaubnisbehörde darf den Sachverhalt, der Gegenstand eines anhängigen Strafverfahrens gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ist, und deren Entziehung nach §69 StGB in Betracht kommt, im Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen, aber durchaus im Neuerteilungsverfahren.[17]

 

Rz. 42

Jedoch ist die Fahrerlaubnisbehörde nach der nur im Verhältnis zu Strafverfahren geltenden Bestimmung des §3 Abs. 3 StVG nicht gehindert, die Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen. Dies auch für den Fall, wenn wegen desselben Sachverhaltes ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet, aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.[18]

[17] LG Erfurt NZV 2003, 523; siehe dazu aktuell: Dronkovic, MPU nach Unfallflucht, DAR 2014, 761 ff. m.w.N.
[18] VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.7.2007 – 10 S 306/07, zfs 2007, 713 = Blutalkohol Vol. 45/2008; vgl. auch Niedersächsisches OVG zfs 2008, 114.

1. Einstellung durch Strafverfolgungsbehörde

 

Rz. 43

Ein Ziel in der Verteidigung liegt natürlich in der Einstellung des Verfahrens oder sogar im Freispruch des Angeklagten oder Betroffenen. Die Vorschriften aus der StPO nach §§153 ff. oder nach §47 JGG oder aber den Einstellungsvorschriften nach dem OWiG haben grundsätzlich keine Bindungswirkung.

2. Strafgerichtliche Urteile

a) Grundsatz Bindungswirkung

 

Rz. 44

§3 Abs. 4 S. 1 StVG gibt vor, dass die im Straf- und Bußgeldverfahren rechtskräftige Entscheidung Bindungswirkung für die Fahrerlaubnisbehörde entfaltet. Sinn und Zweck der Regelung ist, die dem Strafgericht vorgegebene Befugnis nach §69 StGB einerseits mit der behördlichen Befugnis nach §3 Abs. 1 StVG andererseits abzustimmen und Doppelprüfungen wie auch sich widersprechende Entscheidungen zu verhindern.

 

Hinweis

Eine Bindungswirkung besteht aber nicht im Hinblick auf die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung (§48 FeV); diese darf auch während des Laufs eines Strafverfahrens durch die Verwaltungsbehörde entzogen werden.

Die Bindungswirkung gilt ebenso wenig bei Erteilung oder Wiedererteilung der Fahrerlaubnis:[19] Sie hindert die Behörde nicht daran, während eines Strafverfahrens die Fahrerlaubnis wegen eines anderen Sachverhalts zu entziehen, für den die Sperre des §3 Abs. 3 StVG nicht gilt.[20]

 

Rz. 45

Dabei hat die gerichtliche Entscheidung Vorrang, weil der Strafrichter eine auf die Zukunft gerichtete, im Rahmen der Hauptverhandlung festgestellte Entscheidung über die Gefährlichkeit des Betroffenen für den öffentlichen Straßenverkehr trifft. Dies stellt keine Nebenstrafe dar.

[19] OVG Münster, Beschl. v. 4.7.2007, NJW 2007, 2398; VG Köln, Urt. v. 21.5.2010 – 11 K 8707/09; VG Berlin, Beschl. v. 21.6.2000, NZV 2001, 139; VG Frankfurt, Beschl. v. 7.5.2003, DAR 2003, 384.
[20] VGH Mannheim, Beschl. v. 19.2.2007, VBlBW 2007, 314 = NVwZ 2007, 326.

b) Konkreter Zusammenhang mit Sicherheitsbelangen

 

Rz. 46

Der Große Strafsenat hat mit der Entscheidung vom 27.4.2005 festgehalten, dass die Fahrerlaubnis nur entzogen werden kann, wenn ein konkreter Zusammenhang mit Sicherheitsbelangen gegeben ist.[21] Dieser Zusammenhang kann sich aber auch aus früherem Verhalten oder aus der konkreten Durchführung oder Vorbereitung der Tat – was dann aber eigens durch das Tatgericht festgestellt werden muss – ergeben. Stellt das Gericht mithilfe eigener Sachkunde in der Hauptverhandlung keine charakterliche Ungeeignetheit fest, hat es nurmehr die Möglichkeit, als Nebenstrafe ein Fahrverbot zu verhängen.

Dies gilt sicherlich auch dann, wenn ein Mitverschulden des Unfallgegners nicht geeignet ist, die Vorhersehbarkeit eines Unfalls für den Täter einer fahrlässigen Körperverletzung auszuschließen, nämlich dann, wenn es in einem gänzlich vernunftswidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten besteht. Dies gilt selbst für die Bestimmung der Strafe, da das Mitverschulden des Unfallgegners unerheblich sein soll, zumal wenn einschlägige Vorstrafen vorliegen.[22]

[22] KG v. 4.3.2014 – (3) 121 SS 27/14 (21/14), NZV 2015, 45.

c) Bindungswirkung für das gesamte Entziehungsverfahren

 

Rz. 47

Die in §3 Abs. 4 S. 1 StVG angeordnete Bindungswirkung gilt nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren. Dies umfasst auch die vorbereitenden Maßnahmen. Das hat zur Folge, dass die Behörde schon die Beibringung des Gutachtens nicht anordnen darf.[23] Dies gilt auch bei der Punktebewertung für die sich hieran knüpfenden Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde gem. §4 Abs. 3 S. 2 StVG. Einzelheiten oder das Vorliegen der Tat werden nicht mehr geprüft.[24]

Die "Anhängigkeit" des Strafverfahrens i.S.d. §3 Abs. 3 StVG beginnt mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch die Polizei und dauert bis zur Einstellung des Verfahrens bzw. bis zum Eintritt der Rechtskraft der ergehenden Entscheidung. In dieser Zeit darf die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt des laufenden Strafverfahrens generell nicht berücksichtigen, also au...

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