Rz. 2497

 

Rz. 2498

OLG Karlsruhe[2346]

Eine Haftungsverteilung von 50:50 ist gerechtfertigt, wenn ein Fahrzeug (1) nach links durch eine Lücke in einer Kolonne auf der linken Fahrspur des Gegenverkehrs in eine Hofeinfahrt einbiegen will und dabei mit einem auf der rechten Fahrspur der Gegenfahrbahn mit überhöhter Geschwindigkeit (65 km/h statt innerorts erlaubter 50 km/h) herannahenden Pkw (2) kollidiert.

 

Rz. 2499

KG[2347]

Die sog. Lückenrechtsprechung gilt nicht für das Abbiegen in eine Grundstückseinfahrt Die Fahrerin des abbiegenden Pkw (1) hat den gegen sie als Linksabbiegerin sprechenden Anschein unfallursächlichen Verschuldens nicht erschüttert. Wer abbiegen will, muss dies rechtzeitig und deutlich ankündigen. Dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Ein Linksabbieger hat sein Fahrzeug möglichst weit links einzuordnen, und vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen ist durch entsprechende Rückschau auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Entgegenkommende Fahrzeuge muss er zuvor durchfahren lassen. Wer in ein Grundstück einbiegen will, muss zusätzlich die Anforderungen des § 9 Abs. 5 StVO beachten: Er muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

 

Rz. 2500

OLG Hamm[2348]

Der Beweis des ersten Anscheins greift nicht, wenn keine konkrete Typizität festgestellt wird. Bei einem Zusammenstoß zwischen einem die Kolonne überholenden Motorradfahrer und einem durch die Lücke kommenden Kfz greift der Anscheinsbeweis in der Regel nicht. Der Beweis des ersten Anscheins greift nur ein, wenn ein feststehendes oder bewiesenes Tatsachengeschehen den Schluss auf eine dann typischerweise zugrundeliegende Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten zulässt. Erst wenn die konkrete Typizität feststeht, kann der exakte Nachweis des Unfallhergangs durch die Anwendung der Anscheinsbeweisgrundsätze ersetzt werden.

 

Rz. 2501

OLG Hamm[2349]

Die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins greifen nicht stets zugunsten eines eine kurze Kolonne überholenden Motorrollerfahrers ein, der mit dem die Kolonne anführenden und nach links in eine Grundstückszufahrt einbiegenden Kfz kollidiert.

 

Rz. 2502

OLG Düsseldorf[2350]

Fährt ein Fahrzeugführer an einer zum Stillstand gekommenen Kolonne links vorbei, ist er verpflichtet, auf größere Lücken in der Kolonne zu achten. Er muss sich darauf einstellen, dass solche Lücken durch den Querverkehr benutzt werden. Er ist deshalb verpflichtet, sich gemäß § 1 Abs. 2 StVO nur mit voller Aufmerksamkeit und unter Einhaltung einer Geschwindigkeit zu nähern, die ihm notfalls ein sofortiges Anhalten ermöglicht. Bei einer nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsanteile ist der Vorfahrtsverletzung gegenüber dem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO allerdings grundsätzlich höheres Gewicht einzuräumen. Ein Haftungsanteil von 25 % des Vorfahrtsberechtigten bleibt bestehen.

 

Rz. 2503

OLG Köln[2351]

Ein Fahrer, der beim nach links Abbiegen auf das Gelände einer Tankstelle auf der Gegenfahrbahn mit einem vorfahrtsberechtigten Motorradfahrer zusammenstößt, haftet zu 50 %, wenn der Motorradfahrer an einer stehenden Fahrzeugkolonne vorbeifährt und die Kolonne eine Zufahrt zur Tankstelle freigelassen hat.

 

Rz. 2504

LG Tübingen[2352]

Ein Motorradfahrer, der eine vor einer Ampel wartende Fahrzeugkolonne überholt, ohne dass hierfür eine weitere Fahrspur zur Verfügung steht, verstößt gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme. Kommt es zu einem Zusammenstoß mit einem unter Verstoß gegen § 10 StVO durch eine ihm eröffnete Lücke fahrenden Kfz, haftet der Motorradfahrer zu ⅓.

 

Rz. 2505

AG Berlin-Mitte[2353]

Kommt es zu einem Unfall zwischen einem Linksabbieger (1), der eine Staulücke zum Abbiegen nutzt, und einem an dem Stau zu schnell vorbeifahrenden Fahrzeug (2), dessen Fahrer zudem telefoniert, dann haftet der Linksabbieger zu ⅔. Den Fahrer des überholenden Fahrzeugs trifft ein Mitverschuldensanteil, weil er an einer haltenden Kolonne vorbeigefahren ist, ohne seine Geschwindigkeit so einzurichten, dass er gefahrlos vor der Lücke im Stau, die die Abbiegerin zum Überqueren der Fahrbahn benutzte, hätte anhalten können. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Überholer seine ­Geschwindigkeit der unklaren Verkehrslage angepasst hat. Dazu war er jedoch verpflichtet.

 

Rz. 2506

AG Leverkusen[2354]

Ein Fahrzeugführer, der trotz durchgezogener Linie auf der Gegenfahrbahn an einer stehenden Kolonne vorbeifährt und dadurch mit einem durch eine Lücke nach links abbiegenden Grundstücksausfahrer zusammenstößt, haftet zu 60 %.

[2346] NZV 1989, 473 = r+s 1989, 284.
[2347] MDR 2003, 626 = NZV 2003, 182 = VersR 2004, 254 = VM 2003, 35 = VRS 104, 349 = VRUNDSCH 23/2003, 36.
[2348] NJW-RR 2014, 290.
[2349] NZV 2014, 125.
[2350] Urt. v. 25.4.2017 – I-1 U 1477/16; NJW-RR 2017, 922.
[2351] SP 2015, 255.
[2352] NZV 2014, 581.
[2353] SP 2003, 119.
[2354] SP 2014, 332.

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