Rz. 656

 

Rz. 657

KG[617]

Der Halter des Einsatzfahrzeugs (1) (hier Notarztwagen) haftet beim Überqueren einer Kreuzung bei Rotlicht und Kollision mit einem Pkw (2) zu 100 %, wenn Blaulicht und Martinshorn zwar eingeschaltet waren, aber vom Fahrer des Pkw (2) nicht rechtzeitig bemerkt werden konnten. Der Fahrer des Notarztwagens (1) hätte sich vergewissern müssen, dass sein Vorrecht beachtet wird. Er muss sich über das Verhalten des Querverkehrs vergewissern, bevor er von seinem Vorrecht Gebrauch macht.

 

Rz. 658

OLG Brandenburg[618]

Kommt es zwischen einem Einsatzfahrzeug, das mit eingeschalteten Sondersignalen in eine durch rot gesperrte Kreuzung einfährt und einem Kraftfahrer, der bei grün die Straßenkreuzung passiert, zur Kollision, haften beide Unfallbeteiligten zu 50 %, wenn der Fahrer des Einsatzfahrzeuges nicht die notwendige Sorgfalt hat walten lassen und der Fahrer des Pkw trotz erkennbarer Anhaltspunkte die Kreuzung nicht geräumt hat.

 

Rz. 659

KG[619]

Fährt der Führer eines Polizeifahrzeugs (1) allein mit Blaulicht – ohne Einsatzhorn – in eine durch Rotlicht gesperrte Kreuzung ein, bewirkt dies kein Wegerecht. Die Verkehrsteilnehmer (2) aus dem durch grünes Ampellicht freigegebenen Querverkehr sind rechtlich nicht gehalten, gem. § 38 Abs. 1 S. 1 StVO freie Bahn zu schaffen. Zwingt der Fahrer des Polizeifahrzeuges durch eine solche Fahrweise die Verkehrsteilnehmer des Querverkehrs zum Bremsen, haftet sein Dienstherr für den Frontschaden des dritten Fahrzeugs, das auf das zweite Fahrzeug auffährt, nachdem dieses eine Vollbremsung vollzogen hatte im Hinblick auf das starke Abbremsen des ersten Fahrzeuges.

 

Rz. 660

KG[620]

Fährt ein Polizeibeamter im Einsatz ohne Blaulicht und Martinshorn auf einer Vorfahrtsstraße zu schnell und kommt es zu einem Zusammenstoß mit einem wartepflichtigen Fahrzeug, haftet der Wartepflichtige dennoch zu 100 %. Nach § 35 Abs. 1 StVO sind Sonderrechtsfahrzeuge, also auch Polizeimotorräder, von den Vorschriften der StVO befreit, "soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist". Diese Rechtsfolge tritt auch dann ein, wenn das Sonderrechtsfahrzeug weder Horn noch Blaulicht führt, oder diese zwar vorhanden sind, aber nicht betätigt werden. Dem Fahrer des Polizeifahrzeugs kann auch nicht das Unterlassen von akustischen Warnsignalen haftungsbegründend vorgeworfen werden. Er hatte keinen Anlass, mit einem plötzlichen sorgfaltswidrigen Anfahren des Wartepflichtigen zu rechnen. Da das Polizeifahrzeug mit der Einsatzfahrt eine dringende öffentliche Aufgabe erfüllt hat, liegt keine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor.

 

Rz. 661

KG[621]

Kommt es auf einer Kreuzung zu einem Unfall zwischen einem mit ca. 40 km/h mit Blaulicht und Martinshorn fahrenden Einsatzfahrzeug (1) und einem normalerweise durch grünes Ampellicht bevorrechtigten Pkw (2), haftet das Land, dessen Beamter das Sonderfahrzeug (1) gefahren hatte, zu ⅔. Ihm ist vorzuwerfen, dass er zu schnell in die Kreuzung eingefahren war. Er hatte vorher sein Fahrzeug nicht abgebremst und sich vergewissert, dass die anderen Verkehrsteilnehmer sein Sonderrecht wahrgenommen hatten.

 

Rz. 662

KG[622]

Grundsätzlich kann für das Überqueren einer durch Rotlicht gesperrten Kreuzung ein Vorrang des Dienstfahrzeugs durch rechtzeitiges Einschalten von Blaulicht und Martinshorn geschaffen werden. Hierdurch wird das Gebot gem. § 38 Abs. 1 S. 2 StVO ausgelöst, dem Einsatzfahrzeug freie Bahn zu schaffen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass der Fahrer des Einsatzfahrzeugs, der bei für ihn Rot zeigendem Ampellicht eine Kreuzung überqueren will, ohne Beachtung des Querverkehrs sein Sonderrecht gebrauchen darf. Eine Verpflichtung, dem Einsatzfahrzeug freie Bahn zu verschaffen, trifft den anderen Verkehrsteilnehmer nur dann, wenn er das Blaulicht und das Martinshorn wahrgenommen hat oder bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmen hätte können. Der Fahrer des Pkw (2) hat keine Mithaftung, wenn der Fahrer des Polizeifahrzeugs (1) zunächst mit 79 km/h auf die Kreuzung zugefahren war, die im Zeitpunkt des Überquerens der Haltlinie jedoch für ihn durch Rotlicht gesperrt war. Ihm musste klar gewesen sein, dass die Ampel in Kürze auf gelb und dann auf rot umschalten würde. Dennoch hatte er Blaulicht und Martinshorn erst im letzten Moment eingeschaltet.

 

Rz. 663

KG[623]

Der Fahrer eines Sonderfahrzeugs (1) darf nicht "blindlings" oder "auf gut Glück" in eine Kreuzung bei Rotlicht einfahren. Er darf seine Sonderrechte nur dann in Anspruch nehmen, wenn er dem sonst bevorrechtigten Querverkehr rechtzeitig zum Erkennen gegeben hat, dass er solche Vorrechte beanspruchen will. Er muss sich überzeugen, dass ihn alle anderen Verkehrsteilnehmer wahrgenommen haben und sich auf seine Absicht eingestellt haben. Insbesondere dann, wenn das Fahrzeug nicht unbedingt als Einsatzfahrzeug wahrgenommen wird, weil es sich um eine Zivilstreife handelt, muss er sich trotz Blaulichts vorsichtig in die Kreuzung vortasten, um sich auf diese Art und Weise zu überzeugen, da...

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