Rz. 2425

 

Rz. 2426

BGH[2278]

Kollidiert der Wartepflichtige (1) mit einem Vorfahrtberechtigten (2), der nachweislich zu schnell fährt, so ergibt sich, abhängig von der Geschwindigkeitsüberschreitung, eine grundsätzliche Haftungsverteilung. Die übrigen Unfallumstände (Einsehbarkeit in die Kreuzung, Straßenverlauf, Erkennbarkeit des Vorfahrtberechtigten, Tages- oder Nachtzeit) müssen jeweils für den Einzelfall betrachtet werden.

 

Rz. 2427

BGH[2279]

Der rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und einem Verkehrsunfall ist zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre. Die kritische Verkehrssituation beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anlass dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann. Gibt der Vorfahrtberechtigte (2) dem Wartepflichtigen (1) durch einen Verkehrsverstoß Anlass, die Wartepflicht, namentlich infolge einer Fehleinschätzung der Verkehrssituation, zu verletzen, so kann die kritische Verkehrssituation bereits vor der eigentlichen Vorfahrtsverletzung eintreten. Der Vertrauensgrundsatz kommt regelmäßig demjenigen nicht zugute, der sich selbst über Verkehrsregeln hinwegsetzt, die auch dem Schutz des unfallbeteiligten Verkehrsteilnehmers dienen.

 

Rz. 2428

OLG Schleswig[2280]

Es ist untersagt, innerorts ein Kfz mit über dem Tempolimit liegender Geschwindigkeit zu überholen. Verursacht ein zu schnell fahrender, überholender Kfz-Führer (2) in einem solchen Fall einen Unfall mit einem einbiegenden Kfz (1), so beträgt seine Haftungsquote 30 %, obwohl der Einbiegende die Vorfahrt missachtet hat. Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h bewirkte an der Unfallstelle ein faktisches Überholverbot.

 

Rz. 2429

KG[2281]

Überschreitet ein Fahrzeugführer die höchstzulässige Geschwindigkeit um mehr als das Doppelte und liegt die Geschwindigkeit innerorts absolut über 100 km/h, ist ein besonders schwerer Verkehrsverstoß gegeben. Dieser führt in der Regel zu einer Alleinhaftung, auch wenn der Handelnde an sich die Vorfahrt hatte.

 

Rz. 2430

KG[2282]

Überschreitet ein entgegenkommender Bevorrechtigter die innerorts zulässige Geschwindigkeit deutlich, tritt das Mitverschulden des Wartepflichtigen zwar noch nicht vollständig zurück. Der Bevorrechtigte haftet aber zu ⅔. Der Anscheinsbeweis der Verletzung der aus § 9 Abs. 3 S. 2 StVO folgenden Wartepflicht des Linksabbiegers wird durch die überhöhte Geschwindigkeit des Bevorrechtigten nicht erschüttert. Der Vorrang des entgegenkommenden Verkehrs wird dadurch nicht eingeschränkt.

 

Rz. 2431

KG[2283]

Eine Situation mit "halber Vorfahrt" schützt auch einen von links kommenden Wartepflichtigen. Kommt es zu einem Unfall, muss sich der Vorfahrtsberechtigte in der Regel die Betriebsgefahr seines Kfz anrechnen lassen. Bei guter Sicht nach rechts scheidet die Anrechnung der Betriebsgefahr des vorfahrtberechtigten Kfz allerdings aus. Für den Wartepflichtigen ist in dieser Situation der "halben Vorfahrt" die Lage ähnlich übersichtlich, wie wenn er eine Vorfahrtsstraße befahren würde.

 

Rz. 2432

KG[2284]

Das Vorfahrtsrecht erstreckt sich auf die gesamte Breite der Vorfahrtsstraße. Bei einer Kollision auf einer Kreuzung zwischen zwei Pkw, von denen der Wartepflichtige die Vorfahrt des anderen durch zu weites Vorrücken verletzt, der Vorfahrtberechtigte jedoch beim Abbiegen in die untergeordnete Straße gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen und die Kurve geschnitten hat, haftet jeder Beteiligte zu 50 %.

 

Rz. 2433

KG[2285]

Eine Mithaftung des Vorfahrtberechtigten kann nicht mit dem Argument verneint werden, die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sei nur geringfügig gewesen und habe nicht mehr als 10 km/h betragen. Die Mithaftung des Vorfahrtberechtigten hängt vielmehr davon ab, ob er sich durch die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außer Stande gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren, der Unfall also ohne Verstoß gegen § 3 StVO hätte vermieden werden können. Hierfür trägt der Wartepflichtige die Darlegungs- und Beweislast. Sofern diese Voraussetzungen gegeben sind, könnte auch eine Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit um lediglich 10 km/h eine Mithaftung begründen. Im vorliegenden Fall ist jedoch weder eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch die Vorfahrtberechtigte (2) noch deren Unfallursächlichkeit dargetan und unter Beweis gestellt. Sie haftet deshalb nicht.

 

Rz. 2434

OLG Celle[2286]

Konnte ein Vorfahrtsberechtigter die Kollisionsgefahr mit einem einfahrenden Fahrzeug frühzeitig erkennen und hätte er ausreichend Zeit gehabt, sein Fahrzeug vor der Kollision zum Stehen zu bringen oder auszuweichen, haftet er zu 50 %. Nachdem er sich nicht entsprechend verhalten hatte, hat er eine besondere Unaufmerksamkeit an den Tag gelegt.

 

Rz. 2435

OLG Celle[2287]

Kommt ein Fahrzeug auf gerader und übersichtlicher Straß...

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