Rz. 301

Der Meinungsstand in der Literatur ist uneinheitlich. Einigkeit besteht nur insoweit, als dass bei Übertragung eines ganzen Betriebs die für diesen Betrieb abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen normativ weitergelten, wenn der Betrieb im Wesentlichen unverändert durch den Erwerber als eigenständiger Betrieb weitergeführt wird.[337] Denn der Betriebsübergang als solcher hat auf die Betriebsidentität keinen Einfluss.[338] Ob es darüber hinaus weitere Fälle gibt, bei denen im Rahmen eines Betriebs(teil)übergangs mit oder ohne weitere Umstrukturierungen die Betriebsvereinbarungen des Veräußererbetriebs beim Erwerber normativ fortgelten, ist umstritten.

 

Rz. 302

Die Vertreter der "strengen Identitätslehre" in der Literatur[339] lehnen dies ab. Sie gehen davon aus, dass jegliche Änderung, die anlässlich eines Betriebs(teil)übergangs erfolgt und die Identität im engen Sinne entfallen lässt, die normative Wirkung der Betriebsvereinbarungen beendet. Wird anlässlich der Übertragung eines ganzen Betriebs dieser beim Erwerber mit einem anderen Betrieb zusammengefasst oder in einen Betrieb des Erwerbers eingegliedert, endet daher nach dieser Auffassung die normative Wirkung der Betriebsvereinbarungen.

 

Rz. 303

Einen "identitätswahrenden" Betriebsteilübergang gibt es für die Vertreter der "strengen Identitätslehre" aufgrund der denknotwendig erforderlichen Betriebsspaltung beim Veräußerer[340] grundsätzlich nicht.[341]

 

Rz. 304

Allerdings mit einer Ausnahme: auch sie bejahen ein normative Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen, wenn ein Betrieb gespalten und ein Betriebsteil auf einen Erwerber übertragen wird, der bisherige einheitliche Betrieb jedoch fortbesteht, weil der Veräußerer und der Erwerber diesen als Gemeinschaftsbetrieb weiterführen.[342] In diesen Fällen ändert sich strukturell auf betrieblicher Ebene nichts, so dass dieses Ergebnis allgemein geteilt werden dürfte.

 

Rz. 305

Salamon geht davon aus, dass die Betriebsvereinbarungen des Veräußerers nur dann normativ beim Erwerber fortgelten, wenn der übertragene Betrieb oder Betriebsteil beim Erwerber unverändert weitergeführt wird, also nicht mit einem anderen Betrieb(steil) des Erwerbers zu einem neuen Betrieb zusammengefasst wird oder in einen Betrieb des Erwerbers eingegliedert wird.[343]

 

Rz. 306

Demgegenüber nehmen Kreutz,[344] Bachner[345] und Berg[346] eine normative Weitergeltung der Veräußererbetriebsvereinbarungen immer dann und insoweit an, als für ­irgendeinen der beteiligten Betriebsräte (nicht notwendigerweise den Veräußererbetriebsrat) ein Übergangsmandat besteht. Auch sie argumentieren – wie das BAG in der Entscheidung vom 18.9.2002[347] –, das Bestehen eines Übergangsmandats legitimiere die normative Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen. Allerdings leiten sie aus diesem Argument konsequent ab, dass die Betriebsvereinbarungen des Ursprungsbetriebs, also des Veräußererbetriebs, nicht nur normativ weitergelten, wenn der übertragene Betriebsteil(steil) vom Erwerber als eigenständiger Betrieb weitergeführt wird, sondern in allen Fällen, in denen – nach der hierzu von ihnen vertretenen Auffassung – ein Übergangsmandat entsteht.

 

Rz. 307

Das bedeutet, dass in allen Fällen, in denen ein übertragener Betriebs(teil) beim Erwerber mit einem anderen Betrieb(steil) ohne Eingliederung zu einem neuen Betrieb zusammengefasst wird, die Betriebsvereinbarungen des Veräußererbetriebs im Rahmen ihres ursprünglichen Geltungsbereichs normativ weitergelten.[348] Insofern gilt nach diesen Autoren dasselbe wie bei unternehmensinternen Umstrukturierungen. Die Betriebsvereinbarungen gelten außerdem normativ weiter, wenn ein übertragener Betriebsteil beim Erwerber in einen betriebsratslosen Betrieb eingegliedert wird. Auch dann entsteht nach allgemeiner Meinung[349] aufgrund der Betriebsspaltung beim Veräußerer ein Übergangsmandat.

 

Rz. 308

Einen Unterschied zwischen unternehmensinternen Umstrukturierungen und solchen mit Betriebsinhaberwechsel machen Kreutz und Bachner im Zusammenhang mit Betriebs(teil)übergängen mit anschließender Eingliederung des übertragenen Betriebs(teils) in einen Betrieb des Erwerbers, in dem ein Betriebsrat besteht. In diesem Fall nehmen sie bei unternehmensinternen Umstrukturierungen eine Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen des eingegliederten Betriebs(teils), die einen Regelungsgegenstand betreffen, zu dem es im aufnehmenden Betriebs(teil) keine Betriebsvereinbarung gibt, an.[350]

 

Rz. 309

Bei der Eingliederung eines Betriebs(teils) in einen Betrieb mit Betriebsrat entsteht jedoch wegen des negativen Tatbestandsmerkmals in § 21a Abs. 1 BetrVG ("soweit sie [...] nicht in einen Betrieb eingegliedert werden, in dem ein Betriebsrat besteht") kein Übergangsmandat.[351] Aus diesem Grund gehen Kreutz und Bachner bei der Eingliederung eines übertragenen Betriebs(teils) in einen Betrieb des Erwerbers mit Betriebsrat – anders als bei unternehmensinternen Umstrukturierungen – nicht von einer normativen Weitergeltung der Veräußererbetriebsvereinbarungen aus.[...

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