Rz. 380

Werden alle Betriebe eines Unternehmens, für die beim Veräußerer Gesamtbetriebsvereinbarungen abgeschlossen sind, auf einen betriebslosen Rechtsträger identitätswahrend übertragen und dort im Wesentlichen unverändert weitergeführt, gelten die Gesamtbetriebsvereinbarungen normativ als Gesamtbetriebsvereinbarungen weiter.[442] Dies gilt nach der Entscheidung des BAG vom 18.9.2002 jedenfalls für in originärer Zuständigkeit gem. § 50 Abs. 1 BetrVG abgeschlossene "echte" Gesamtbetriebsvereinbarungen.

 

Rz. 381

Für die normative Weitergeltung echter Gesamtbetriebsvereinbarungen als Gesamtbetriebsvereinbarung (und nicht "nur" als Einzelbetriebsvereinbarung) ist nach der Rechtsprechung des BAG der Fortbestand des überbetrieblichen Regelungsbedürfnisses (vgl. § 50 Abs. 1 BetrVG) erforderlich,[443] was allerdings bei Übertragung aller Betriebe eines Unternehmens regelmäßig unproblematisch gegeben sein wird.[444]

 

Rz. 382

In diesem Fall bleibt auch der Gesamtbetriebsrat im Amt,[445] so dass bereits die Amtskontinuität für eine normative Weitergeltung als Gesamtbetriebsvereinbarung spricht.[446]

 

Rz. 383

Für einen Rückgriff auf den Auffangtatbestand des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ist daher in dieser Konstellation kein Raum.[447]

 

Rz. 384

Fraglich ist, ob auch eine "unechte" Gesamtbetriebsvereinbarung, also eine gem. § 50 Abs. 2 BetrVG im Auftrag der Einzelbetriebsräte abgeschlossene Gesamtbetriebsvereinbarung, bei identitätswahrender Übertragung sämtlicher Betriebe eines Unternehmens auf ein betriebsloses Unternehmen normativ als Gesamtbetriebsvereinbarung weitergilt oder nur als Einzelbetriebsvereinbarung.

 

Rz. 385

Teilweise wird angenommen, dass unechte Gesamtbetriebsvereinbarungen bei einem ­Betriebsübergang stets nur als Einzelbetriebsvereinbarungen weitergelten können.[448] Dies könnte aus der Entscheidung des BAG vom 18.9.2002 folgen, soweit das BAG dort feststellt, dass es sich bei einer unechten, im Auftrag von Betriebsräten abgeschlossenen Gesamtbetriebsvereinbarung, "in Wirklichkeit um eine vom Gesamtbetriebsrat anstelle des Betriebsrats abgeschlossene Einzelbetriebsvereinbarung" handelt.[449]

 

Rz. 386

Diese Schlussfolgerung ist jedoch nicht zwingend, denn ungeachtet dieser Einordnung gilt die Vereinbarung in den Betrieben des Veräußerers "als Gesamtbetriebsvereinbarung". Zudem finden sich in der Entscheidung vom 18.9.2002 auch keine ausdrücklichen Ausführungen des BAG dahingehend, in welcher Gestalt unechte Gesamtbetriebsvereinbarungen weitergelten. Auch ergibt sich aus dem Sachverhalt nicht, ob es sich bei der dort streitgegenständlichen Gesamtbetriebsvereinbarung "Betriebsordnung" um eine echte oder eine unechte Gesamtbetriebsvereinbarung handelte.

 

Rz. 387

Vor dem Hintergrund, dass bei identitätswahrender Übertragung sämtlicher Betriebe eines Unternehmens auf ein bis dahin betriebsloses Unternehmen aber weder auf betrieblicher Ebene, noch auf Unternehmensebene irgendeine organisatorische Änderung eintritt, sondern lediglich der Rechtsträger auf Unternehmensebene wechselt, spricht – auch im Hinblick auf den Fortbestand des Gesamtbetriebsrats als Gremium – viel dafür, auch unechte Gesamtbetriebsvereinbarungen als Gesamtbetriebsvereinbarung normativ weitergelten zu lassen.

 

Rz. 388

Ob Gesamtbetriebsvereinbarungen auch normativ als Gesamtbetriebsvereinbarung weitergelten, wenn sämtliche Betriebe eines Unternehmens identitätswahrend auf ein Unternehmen übertragen werden, das zu diesem Zeitpunkt bereits über eigene Betriebe verfügt, ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden.

 

Rz. 389

In der Literatur wird eine normative Weitergeltung in diesen Fällen teilweise mit der Begründung abgelehnt, dies würde zu "kaum auflösbaren Konkurrenzsituationen" führen.[450] Etwaige Konkurrenzprobleme lassen sich jedoch nach den für die normative Weitergeltung von Einzelbetriebsvereinbarungen bzw. dem Rechtsgedanken des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB entwickelten Grundsätzen lösen.[451]

 

Rz. 390

Da nach der Rechtsprechung des BAG einerseits der Umstand, dass der Erwerber bereits eigene Betriebe hat, bei identitätswahrender Übertragung eines einzelnen Betriebs einer normativen Weitergeltung der beim Veräußerer geltenden Gesamtbetriebsvereinbarung (in diesem Fall als Einzelbetriebsvereinbarung) nicht entgegensteht,[452] und es andererseits bei Fortbestand des betriebsübergreifenden Koordinationsbedürfnisses (vgl. § 50 Abs. 1 BetrVG) dem Grundsatz nach eine normative Weitergeltung als Gesamtbetriebsvereinbarung und nicht nur als Einzelbetriebsvereinbarung befürwortet,[453] dürfte auch bei identitätswahrender Übertragung aller Betriebe eines Unternehmens auf ein Unternehmen, das bereits über eigene Betriebe verfügt, eine normative Weitergeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen als Gesamtbetriebsvereinbarung möglich sein.[454]

 

Rz. 391

Denn auch (echte) Gesamtbetriebsvereinbarungen müssen nicht zwingend für das gesamte Unternehmen gelten, sie können auch für eine Teilmenge der Betriebe und damit nicht alle Betriebe des Unternehmens gelten.[455] Dann steht...

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