aa) Arten der Umstrukturierung

(1) Änderungen ausschließlich auf Unternehmensebene

 

Rz. 214

Änderungen, die sich allein auf Unternehmensebene abspielen, haben keine Auswirkungen auf die Geltung von Betriebsvereinbarungen. Da Bezugsobjekt und Regelungssubstrat von Betriebsvereinbarungen der Betrieb ist, lassen Änderungen, die sich allein auf der Ebene des Unternehmens auswirken und nicht auf betrieblicher Ebene (z.B. Formänderung, Umfirmierung, Wechsel der Gesellschafter), die normative Geltung von Betriebsvereinbarungen unberührt.[243] Insbesondere ist die personelle Identität des Arbeitgebers (z.B. Hauptanteilseigner des Unternehmens) für die (Weiter-)Geltung von Betriebsvereinbarungen ohne Bedeutung.[244]

[243] ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rn 121; WHSS/Hohenstatt, E Rn 74; Maschmann, NZA-Beilage 1/2009, 32, 33.
[244] Kreft, in: FS Wißmann, 2005 S. 347, 349.

(2) Betriebsstilllegung

 

Rz. 215

Der einzige ausdrücklich gesetzlich geregelte Beendigungstatbestand für Betriebsvereinbarungen ist die Kündigung (§ 77 Abs. 5 BetrVG). Darüber hinaus besteht Einigkeit, dass Betriebsvereinbarungen befristet abgeschlossen werden können. In beiden Fällen wirkt die Betriebsvereinbarung möglicherweise gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nach.

 

Rz. 216

Welche Beendigungsgründe über die Kündigung und den Ablauf der Befristung hinaus in Betracht kommen, ist umstritten. Die h.M. geht davon aus, dass sich Betriebsvereinbarungen – dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ähnlich – "erledigen", wenn sie ihre Gestaltungsaufgabe bzw. ihren Regelungsgegenstand verlieren.[245]

 

Rz. 217

Die endgültige und vollständige Stilllegung eines Betriebs führt dem Grundsatz nach zur Beendigung der in dem Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen.[246] Mit dem vollständigen und dauerhaften Wegfall des Betriebs als Bezugspunkt können die Betriebsvereinbarungen ihre Gestaltungsaufgabe in der Regel nicht mehr erfüllen.

 

Rz. 218

Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Betriebsvereinbarungen, die gerade im Hinblick auf die Stilllegung des Betriebs abgeschlossen wurden, also insbesondere Sozialpläne, gelten auch nach Stilllegung des Betriebs weiter.[247] Entsprechendes muss für Betriebsvereinbarungen über eine betriebliche Altersversorgung gelten. Für diese besteht ebenfalls auch noch nach dem Wegfall des Betriebs ein Regelungszweck, so dass sie sich durch die Betriebsstilllegung nicht erledigen.[248]

[245] WHSS/Hohenstatt, S. 592; Fitting u.a., § 77 Rn 160; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn 424.
[246] WHSS/Hohenstatt, S. 592; Fitting u.a., § 77 Rn 160; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn 421; ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rn 125.
[247] BAG v. 24.3.1981 – 1 AZR 805/78; Fitting u.a., § 77 Rn 161; DKKW/Berg, § 77 Rn 94; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn 422; Lange, NZA 2017, 288, 289; Richardi/Richardi, § 77 Rn 210; ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rn 125.
[248] Fitting u.a., § 77 Rn 161; DKKW/Berg, § 77 Rn 94; Lange, NZA 2017, 288, 289; Richardi/Richardi, § 77 Rn 210; ErfK/Kania § 77 BetrVG Rn 125.

(3) Betriebsteilstilllegung/Betriebseinschränkung

 

Rz. 219

Anders als die vollständige Schließung bzw. Stilllegung des Betriebs lässt die Betriebsteilstilllegung bzw. Betriebseinschränkung die normative Geltung der für diesen Betrieb abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen in der Regel unberührt.[249] Der Betrieb als Bezugsobjekt für die Betriebsvereinbarungen bleibt – wenn auch im eingeschränkten Umfang – bestehen, so dass auch die Betriebsvereinbarungen ihre Gestaltungsaufgabe in der Regel behalten. Zudem wird sich durch eine bloße Betriebseinschränkung in der Regel auch die Identität des Betriebs nicht grundlegend ändern.[250]

 

Rz. 220

Etwas anderes gilt nur für Betriebsvereinbarungen, die einen eingeschränkten Geltungsbereich hatten und allein für den stillgelegten Betriebsteil abgeschlossen waren. Diese ausschließlich auf den stillgelegten Betriebsteil bezogenen Betriebsvereinbarungen verlieren mit der Stilllegung gerade dieses Betriebsteils ihre Gestaltungsaufgabe und werden daher gegenstandslos.[251]

[249] Lange, NZA 2017, 288, 289.
[250] Vgl. auch BAG v.19.11.2003 – 7 AZR 11/03, Rn 14: der Betriebsrat behält sogar sein Regelmandat.
[251] Lange, NZA 2017, 288, 289.

(4) Verlust der Betriebsratsfähigkeit/Wegfall des Betriebsrats

 

Rz. 221

Sinkt die Zahl der regelmäßigen Beschäftigten des Betriebs unter fünf, ist der Betrieb nicht mehr betriebsratsfähig (§ 1 Abs. 1 BetrVG) und das Amt des Betriebsrats endet. Auf die Wirksamkeit der für diesen Betrieb abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen hat der Verlust der Betriebsratsfähigkeit als solche jedoch keine Auswirkung. Die Wirkung der Betriebsvereinbarungen ist weder an das Amt bzw. die Amtszeit des Betriebsrats gebunden,[252] noch an seinen Fortbestand als solchen. Auch der vorübergehende oder endgültige Wegfall des Betriebsrats lässt die bestehenden Betriebsvereinbarungen in ihrer normativen Wirkung unberührt, so dass die im Zeitpunkt des Verlustes der Betriebsratsfähigkeit im Betrieb bestehenden Betriebsvereinbarungen ihre normative Geltung behalten.[253] Teilweise wird demgegenüber eine bloße Nachwirkung analog § 77 Abs. 6 BetrVG angenommen.[254]

 

Rz. 222

Besteht kein Betriebsrat mehr, kann sich der Arbeitgeber nach h.M. nur durch Kündigung der Betriebsvereinbarung gegenüber allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern...

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