Rz. 278

Häufig gehen Umstrukturierungen mit einem Betriebsinhaberwechsel einher: ein Betrieb, ein Betriebsteil oder sogar mehrere Betriebe eines Unternehmens werden auf einen oder mehrere Erwerber übertragen – entweder im Wege der Einzelrechtsnachfolge durch Betriebsübergang, oder im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach dem Umwandlungsgesetz.

 

Rz. 279

Für Betriebsübergänge findet sich in § 613a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB die Regelung, dass die durch Betriebsvereinbarung geregelten Rechte und Pflichten in die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer transformiert werden. In Umwandlungsfällen findet § 613a BGB über § 324 UmwG Anwendung.

 

Rz. 280

Die in § 613a Abs. 2 S. 2 bis 4 BGB geregelte Transformation der Betriebsvereinbarungen in die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist nach h.M. jedoch lediglich als Auffangtatbestand zu verstehen. Sie greift nur dann, wenn die Betriebsvereinbarungen nicht bereits normativ weitergelten.[315] Nur wenn eine normative Fortgeltung ausscheidet, ist der Anwendungsbereich des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB überhaupt eröffnet.

 

Rz. 281

Die normative Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen ist daher vorrangig zu prüfen.

[315] BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 763/13, Rn 48; BAG v. 29.7.2003 – 3 AZR 630/02, Rn 68; Bachner, AiB, 2003, 408, 408; Kreft, in: FS Wißmann, 2005 S. 347; Palandt/Weidenkaff, § 613a BGB Rn 28; HaKo-BetrVG/Lorenz, § 77 Rn 92; HK-ArbR/Karthaus/Richter, § 613a Rn 109; WPK/Preis, § 77 Rn 50; Gussen, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 66; APS/Steffan, § 613a BGB Rn 110; a.A. Sagan, RdA 2011, 163 und ErfK/Preis, § 613a BGB Rn 113.

a) Schicksal von Betriebsvereinbarungen bei Umstrukturierungen mit Betriebsinhaberwechsel

aa) Normative Weitergeltung der im Veräußererbetrieb geltenden Betriebsvereinbarungen

(1) Anwendungsbereich

(a) Rechtsprechung

 

Rz. 282

Nach der Rechtsprechung des BAG entscheidet sich das Schicksal der im übertragenen Betrieb oder Betriebsteil geltenden Betriebsvereinbarungen danach, ob es sich um eine identitätswahrende Betriebsübertragung handelt oder nicht.[316]

 

Rz. 283

Wahrt der Betrieb oder Betriebsteil im Rahmen des Betriebs(teil)übergangs seine Identität, gelten die Betriebsvereinbarungen beim Erwerber dem Grundsatz nach normativ fort.[317] Verliert der übertragene Betrieb oder Betriebsteil seine Identität, endet die normative Wirkung der Betriebsvereinbarungen und es gelten §§ 613a Abs. 2 S. 2 bis 4 BGB.

 

Rz. 284

Ein identitätswahrender Betriebsübergang liegt jedenfalls dann vor, wenn ein gesamter Betrieb übertragen wird und dieser durch den Erwerber im Wesentlichen unverändert weitergeführt wird.[318] Dann gelten auch die Betriebsvereinbarungen normativ weiter.

 

Rz. 285

Dies gilt nach der Rechtsprechung des BAG jedoch nicht nur bei der Übertragung eines ganzen Betriebs. Die Rechtsprechung nimmt vielmehr an, dass auch ein Betriebsteil unter Wahrung seiner Identität[319] auf einen Erwerber übertragen werden kann mit der Folge, dass die Betriebsvereinbarungen des Ursprungsbetriebs im übertragenen Betriebsteil beim Erwerber normativ weitergelten.[320] Auch die h.M. in der Literatur geht in einem solchen Fall von einer normativen Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen aus.[321]

 

Rz. 286

Es stellt sich also die Frage, wann im Falle eines Betriebsteilübergangs von einer "Wahrung der Identität" ausgegangen werden kann. Wie bereits ausgeführt, setzt ein Betriebsteilübergang denknotwendig eine Betriebsspaltung beim Veräußerer voraus.[322] Der zu übertragende Betriebsteil ist somit bereits vor dem Betriebsteilübergang durch die Betriebsspaltung beim Veräußerer nicht mehr vollständig identisch mit dem Ursprungsbetrieb, für den die Betriebsvereinbarungen galten. Dieser Spaltungsvorgang als solcher, bei dem der ab- oder aufgespaltene Betriebsteil zumindest teilidentisch mit dem Ursprungsbetrieb ist, beendet die (normative) Wirkung von Betriebsvereinbarungen jedoch nicht. Die Spaltung als solche führt also nicht zu einem solch großen Identitätsverlust, dass eine Beendigung der Betriebsvereinbarungen berechtigt wäre.

 

Rz. 287

Wenn das BAG davon ausgeht, dass ein Betriebsteil "unter Wahrung seiner Identität" auf einen Erwerber übertragen werden kann, muss es daher für die Frage der Identitätswahrung primär auf das Schicksal des übertragenen Betriebs(teils) beim Erwerber ankommen. Da die Spaltung die Identität im hier maßgeblichen Sinne nicht beendet, muss für die Identitätswahrung als Voraussetzung für eine normative Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen entscheidend sein, ob der Betrieb(steil) nach der Übertragung beim Erwerber seine Identität wahrt. So geht es auch nach dem LAG Berlin-Brandenburg darum, ob "ein Betrieb oder Betriebsteil nach dem Übergang seine bisherige Identität verliert."[323]

 

Rz. 288

Ausdrücklich entschieden sind lediglich zwei Fallkonstellationen: die Betriebsvereinbarungen gelten normativ weiter, wenn ein Betriebsteil beim Erwerber als selbstständiger Betrieb weitergeführt wird.[324] In diesem Fall bewahrt der übergegangene Betriebsteil, der mit dem Ursprungsbetrieb zumindest teilidentisch ist, diese (Teil)Identität beim Erwerber, so dass die Betriebsvereinbarungen des Ursprungsbetriebs normativ weiterg...

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