Rz. 4

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zur geschichtlichen Entwicklung der AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht bereits ergibt, sind die im allgemeinen Teil des Rechts der Schuldverhältnisse verorteten §§ 305 ff. BGB keinesfalls nur auf Verträge auf dem Gebiet des Arbeitsrechts anzuwenden. Im Gegenteil ist es vielmehr so, dass ihre Anwendung auf arbeitsvertragliche Vereinbarungen überhaupt erst mit der Reform des Schuldrechts in 2002 ermöglicht wurde.[10] Im Grundsatz kommt eine Anwendung der §§ 305 ff. BGB auf jegliche Vereinbarung und damit auch auf jegliche arbeitsrechtliche Vereinbarung in Betracht, soweit in ihr Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet werden.

 

Rz. 5

Allerdings sieht das Gesetz für den Bereich des Arbeitsrechts einige Besonderheiten vor, die ein näheres Eingehen auf die sachlichen und persönlichen Anwendungsvoraussetzungen der §§ 305 ff. BGB erforderlich machen: So sind nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB bei der Anwendung der §§ 305 ff. BGB auf "Arbeitsverträge" die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Ferner sind die ansonsten für die Frage der Einbeziehung von AGB sehr praxisrelevanten Vorschriften der § 305 Abs. 2 und 3 BGB im Falle von "Arbeitsverträgen" nicht anzuwenden (vgl. § 310 Abs. 4 S. 2 BGB). Die §§ 305 ff. BGB sehen damit für "Arbeitsverträge" eine modifizierte Form der AGB-Kontrolle, quasi eine "arbeitsrechtliche" AGB-Kontrolle vor. Gar keine Anwendung finden die §§ 305 ff. BGB auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen (§ 310 Abs. 4 S. 1 BGB).

Letztlich wird die konkrete Anwendung der §§ 305 ff. BGB maßgeblich durch die Frage beeinflusst, ob Verträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB zu qualifizieren sind. Im Folgenden soll daher näher erörtert werden, welche der in der arbeitsrechtlichen Praxis relevanten Vereinbarungsarten einer AGB-Kontrolle zu unterwerfen sind und welche Besonderheiten insoweit zu berücksichtigen sind.

[10] Vgl. oben unter Rdn 1 ff.

I. Fragen des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereichs der §§ 305 ff. BGB

1. "Arbeitsverträge" i.S.v. § 310 Abs. 4 BGB

 

Rz. 6

Ohne Weiteres sind die §§ 305 ff. BGB unter Berücksichtigung der in § 310 Abs. 4 BGB vorgesehenen Besonderheiten auf vorformulierte Arbeitsverträge im eigentlichen Wortsinne anzuwenden, also auf privatrechtliche Verträge, mit denen ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber begründet wird, welches die Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zum Gegenstand hat.[11] In erster Linie geht es hier also um den ursprünglich vorformulierten Arbeitsvertrag, mit dem ein Arbeitnehmer in die Dienste eines Arbeitgebers eintritt. Allerdings umfasst der Begriff des "Arbeitsvertrags" in § 310 Abs. 4 BGB nach h.M. nicht nur Arbeitsverträge in diesem technischen Sinne, sondern ist deutlich weiter zu verstehen und umfasst damit im Grunde jegliche individualvertragliche Vereinbarung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts:

Anzuwenden sind die §§ 305 ff. (auch hier wiederum unter Berücksichtigung von § 310 Abs. 4 BGB) über den in einem strengen Sinne verstandenen Wortlaut hinaus z.B. auch auf vorformulierte Vorverträge zu einem Arbeitsvertrag[12] oder vorformulierte Änderungs- oder Ergänzungsvereinbarungen zu einem bereits bestehenden Arbeitsvertrag.[13] Auch hier kommt also jeweils eine Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB in Betracht.

 

Rz. 7

Eine "arbeitsrechtliche" Inhaltskontrolle unter Berücksichtigung der in § 310 Abs. 3 und 4 BGB vorgesehenen Besonderheiten kommt im Übrigen auch dann in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis betreffende Nebenabreden nicht mit dem eigentlichen Vertragsarbeitgeber, sondern mit einer anderen Gesellschaft der jeweiligen Unternehmensgruppe geschlossen werden. Als Beispiel hierfür seien Regelungen über die Teilnahme an Aktienoptionsplänen genannt, die nicht mit dem eigentlichen Arbeitgeber, sondern etwa der börsennotierten Konzernmutter geschlossen werden. Auch hier sind die §§ 305 ff. BGB unter Berücksichtigung der in § 310 Abs. 4 BGB vorgesehenen Besonderheiten anzuwenden, obwohl es sich nicht mehr um eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer handelt.[14]

 

Rz. 8

Auch bei Vereinbarungen, die einen vom Arbeitsvertrag zunächst freigehaltenen Rahmen ausfüllen, kommt eine Inhaltskontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB in Betracht. Dies gilt etwa mit Blick auf Zielvereinbarungen.[15]

[11] Zum Begriff des Arbeitsvertrags siehe oben unter § 1 Rdn 1 sowie ErfK/Preis, § 611a BGB Rn 8 ff.
[12] Däubler/Deinert/Walser/Däubler, Einleitung Rn 28a.
[13] Däubler/Deinert/Walser/Däubler, Einleitung Rn 27; zur AGB-Kontrolle einer Nebenabrede zum Arbeitsvertrag vgl. etwa BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 113/09.
[14] Clemenz/Kreft/Krause/Krause, Einführung Rn 109, der allerdings zu Recht darauf hinweist, dass die Anwendung der §§ 305 ff. BGB ohne Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Besonderheiten in aller Regel zu keinen anderen Ergebnissen führen dürfte.
[15] Däubler/Deinert/Walser/Däubler, Einleitung Rn 28.

2. Verträge mit Organmitgliedern

 

Rz. 9

Eine Anwendung der §§ 305 ff. BGB kommt grundsätzlich auch im...

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