Rz. 833

Eine Verlängerung der Anspruchsdauer wird typischerweise in Führungspositionen vereinbart, in Anlehnung an die üblichen Vertragsbedingungen der Geschäftsführer und Vorstände, die nicht unter den Anwendungsbereich des EFZG fallen und deshalb eine Entgeltfortzahlung nur dann beanspruchen können, wenn diese vertraglich vereinbart ist.[1859] Ebenfalls verbreitet ist eine gestaffelte Verlängerung der Anspruchsdauer in Abhängigkeit von der Dauer der Betriebszugehörigkeit. In diesem Fall dient die Verbesserung der Entgeltfortzahlung auch der Honorierung längerer Betriebstreue; die damit möglicherweise verbundene mittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer ist, sofern die Regelung angemessen ausgestaltet ist, auch im Hinblick auf § 10 S. 2 Nr. 1 AGG nicht zu beanstanden, da mit der altersbedingt abnehmenden Leistungsfähigkeit erfahrungsgemäß längere Krankheitszeiten und damit ein erhöhtes Schutzbedürfnis älterer Arbeitnehmer gegeben ist.

 

Rz. 834

Bei der Vertragsgestaltung muss jedoch, um interessengerechte Lösungen zu finden, zusätzlich die sozialversicherungsrechtliche Situation des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Arbeitnehmer, die freiwillig gesetzlich oder privat krankenversichert sind, können ihren Anspruch auf Krankengeld regelmäßig an die verlängerten Leistungen des Arbeitgebers anpassen, so dass der Arbeitnehmer in diesen Fällen von einer Anspruchsverlängerung uneingeschränkt profitiert. Gesetzlich pflichtversicherte Arbeitnehmer haben demgegenüber grds. schon ab dem ersten Tag nach Feststellung der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld. Dieses beläuft sich gem. § 47 SGB V auf 70 % des bisherigen Bruttogehalts, maximal auf 90 % des bisherigen Nettogehalts, jeweils begrenzt durch die gesetzliche Beitragsbemessungsgrenze.[1860] Der Anspruch auf Krankengeld ruht jedoch gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, soweit und solange der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum Arbeitsentgelt erhält. Verlängerte Entgeltfortzahlungen des Arbeitgebers an gesetzlich versicherte Arbeitnehmer mit Krankengeldanspruch entlasten daher vornehmlich die Krankenkasse, während der Arbeitnehmer nur von der das Krankengeld übersteigenden Zahlung profitiert. Die Zahlungen des Arbeitgebers bis zur Höhe des Krankengeldes sind darüber hinaus in vollem Umfang beitragspflichtig, wohingegen Zuschüsse des Arbeitgebers zum Krankengeld gem. § 23c SGB IV beitragsfrei sind, soweit sie gemeinsam mit dem Krankengeld das bisherige Nettogehalt des Arbeitnehmers nicht übersteigen, und deshalb auch nicht zu einem Ruhen des Krankengeldanspruchs gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V führen. Jedenfalls bei pflichtversicherten Arbeitnehmern sollte deshalb eine vertragliche Erweiterung der Entgeltfortzahlung nur denjenigen Teil des Entgeltausfalls abdecken, der nicht ohnehin bereits von dem Krankengeldanspruch abgedeckt wird. Dadurch wird die wirtschaftliche Grundlage des erkrankten Arbeitnehmers zusätzlich gesichert, ohne dass der an sich leistungspflichtige Sozialversicherungsträger auf Kosten des Arbeitgebers entlastet wird.

 

Rz. 835

Zur Einbeziehung der Krankengeldleistungen wird teilweise empfohlen, die "Anrechnung" etwa geleisteten Krankengeldes auf den Entgeltfortzahlungsanspruch zu vereinbaren. Bei dieser Gestaltung wird allerdings ein zunächst unbegrenzter Anspruch des Arbeitnehmers auf die Entgeltfortzahlung begründet; dieser führt zum Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, so dass ein anrechenbarer Anspruch auf Krankengeld von vornherein nicht entstehen kann. Die Vertragsgestaltung muss deshalb sicherstellen, dass ein Anspruch gegen den Arbeitnehmer von vornherein nur in Höhe des Differenzbetrages begründet wird. Dabei ist allerdings auch darauf zu achten, dass die Anspruchseinschränkung hinsichtlich der Krankengeldzahlung nicht auch den (unabdingbaren) Zeitraum der gesetzlichen Entgeltfortzahlung erfassen darf; anderenfalls besteht wegen der inhaltlichen Unteilbarkeit der Anrechnungsregelung die Gefahr, dass die Anspruchsbegrenzung unwirksam ist, ohne dass dies wegen § 306 BGB die Vereinbarung der längeren Entgeltfortzahlungsdauer beeinträchtigen müsste.

[1859] Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II E 20 Rn 8.
[1860] Die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung beträgt in 2013 47.250 EUR jährlich bzw. 3.937,50 EUR monatlich.

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