Rz. 1731

Das Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers nach § 273 Abs. 1 BGB besteht im Hinblick auf seine Arbeitsleistung und ist die wohl unmittelbarste Reaktion bei vertragswidrigem Verhalten des Arbeitgebers, etwa Lohnrückstand, vertragswidrige Beschäftigung etc.

Der Arbeitnehmer muss das Zurückbehaltungsrecht tatsächlich und aktiv geltend machen, durch ausdrückliche Erklärung oder durch erkennbares Verhalten; die bloße Einstellung der Tätigkeit soll nicht ausreichen.[3969] Aus Sicht des Arbeitnehmers ist empfehlenswert, die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts– am besten unter Fristsetzung – dem Arbeitgeber vorher anzukündigen, um sich nicht dem Vorwurf einer rechtswidrigen Arbeitsverweigerung auszusetzen. Dem Arbeitgeber sollte mitgeteilt werden, aufgrund welcher Gegenforderung die Arbeitsleistung vorläufig nicht erbracht wird, damit dieser den Anspruch ggf. erfüllen kann.[3970]

Das Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung kann rechtmäßig nur unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben ausgeübt werden. Dies verbietet es dem Arbeitnehmer etwa, seine Arbeitsleistung wegen eines verhältnismäßig geringfügigen Lohnanspruchs/Lohnrückstands zurückzuhalten. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts kann ferner rechtsmissbräuchlich sein, wenn nur eine kurzfristige Verzögerung der Lohnzahlung zu erwarten ist, wenn also mit kurzfristiger Zahlung zu rechnen ist. Der Arbeitnehmer ist nach Treu und Glauben ferner gehalten, das Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung nicht zur Unzeit auszuüben, damit dem Arbeitgeber kein unverhältnismäßig hoher Schaden droht.[3971]

 

Rz. 1732

Das Zurückbehaltungsrecht ist ein individuelles Recht und dient der Durchsetzung bestehender Individualansprüche, etwa dem Anspruch auf Vergütung oder auf Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften. Arbeitnehmer können das Zurückbehaltungsrecht jedoch auch kollektiv ausüben, etwa indem sie gleichzeitig ihre Arbeitsleistung zurückhalten. Die Voraussetzungen für ein Zurückbehaltungsrecht müssen in der Person des betreffenden Arbeitnehmers erfüllt sein, und jeder einzelne Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber gegenüber eindeutig zum Ausdruck bringen, er verweigere die Arbeitsleistung in Ausübung eines ihm, wegen eines bestimmten fälligen Anspruchs (etwa: fällige Lohnansprüche), gegen den Arbeitgeber zustehenden Zurückbehaltungsrechts zur Sicherung eines bestimmten Individualanspruchs.[3972] Solange es in diesem Sinne um die Geltendmachung und Durchsetzung individualrechtlicher Positionen geht, liegt gerade kein Streik vor. Ein Streik ist nach formalen Kriterien erst dann zu bejahen, wenn es um den Abschluss von Tarifverträgen bzw. die Durchsetzung tarifvertraglicher Forderungen geht.[3973]

[3969] LAG Rheinland-Pfalz 16.5.2006 – 5 Sa 149/06, LAGE Nr. 1 zu § 320 BGB 2002.
[3970] Hessisches LAG 13.9.1984 – 12 Sa 676/84, NZA 1985, 431; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 690; auch: Küttner/Griese, Zurückbehaltungsrecht Rn 2; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 611 BGB Rn 1121.
[3971] BAG 25.10.1984 – 2 AZR 417/83, NZA 1985, 355; ErfK/Preis, § 614 BGB Rn 17.
[3973] BAG 25.10.1984 – 2 AZR 417/83, NZA 1985, 355; Küttner/Griese, Zurückbehaltungsrecht Rn 8; Schaub/Linck, ArbRHdb., § 50 Rn 9; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 690; ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn 280f; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 611 BGB Rn 1136 f.

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