Rz. 1402

Man unterscheidet Tarifverträge nach ihrem Regelungsgegenstand[3108] und nach ihren Parteien.[3109][3110] Eine Tarifbindung entsteht kollektivrechtlich grundsätzlich dadurch, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer Mitglieder im Arbeitgeberverband bzw. in der Gewerkschaft sind[3111] oder dass der einschlägige Tarifvertrag gemäß § 5 TVG durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für allgemeinverbindlich erklärt wird.[3112]

Davon getrennt zu betrachten ist die individualvertragliche Bezugnahme auf einen oder mehrere Tarifverträge bzw. auf einzelne Teile von Tarifverträgen. Diese Bezugnahme kann entweder ausdrücklich erfolgen oder nach allgemeiner Ansicht auch konkludent bzw. durch betriebliche Übung.[3113] Der einbezogene Tarifvertrag wirkt allein schuldrechtlich kraft privatautonomer Vereinbarung. Die Bezugnahme führt also nicht dazu, dass der Arbeitgeber damit zugleich auch kollektivrechtlich im Sinne der §§ 3 ff. TVG gebunden wäre.[3114]

Die Gründe für die Verwendung von Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen sind vielfältig. Der tarifgebundene Arbeitgeber kann mit ihr für alle Arbeitnehmer – ungeachtet ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit – einheitliche Arbeitsbedingungen schaffen. Teilweise werden Bezugnahmeklauseln auch verwendet, um Anreize zu verringern, dass Arbeitnehmer der Gewerkschaft beitreten. Die Klausel erleichtert die Arbeitsvertragsgestaltung. Schließlich ermöglicht eine partielle Bezugnahme vom (tarifdispositiven) Gesetzesrecht abzuweichen, was im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitnehmer sinnvoll sein kann. Die Aufnahme von Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträge birgt jedoch auch etliche, nicht zuletzt wirtschaftliche Risiken für den Arbeitgeber. Rechtlich bereiten Bezugnahmeklauseln an verschiedenen Stellen Probleme: Abgesehen von der hier primär interessierenden Vertragsgestaltung können sie im Falle eines Austritts aus dem Arbeitgeberverband, im öffentlichen Dienstrecht,[3115] bei Kündigungen, bei Umwandlungen, Unternehmenskäufen[3116] oder Insolvenzfällen[3117] relevant werden.

[3108] Z.B. Regelung allgemeiner Arbeitsbedingungen (meistens im Flächen-/Manteltarifvertrag) oder Regelungen von einzelnen Leistungen (meistens in Spezialtarifverträgen).
[3109] Verbandstarifvertrag und Haus-/Firmentarifvertrag.
[3110] Zu den einzelnen Arten Däubler/Reim/Nebe, § 1 TVG Rn 67 ff.; Kissel, § 8 Rn 36 ff.
[3111] Bei Haustarifverträgen schließt ein einzelner Arbeitgeber direkt mit der Gewerkschaft den Vertrag ab.
[3112] Die Liste der allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge findet sich auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales http://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsrecht/Tarifvertraege/allgemeinverbindliche-tarifvertraege.html (besucht am 31.7.2020.).
[3113] Hierzu Sutschet, NZA 2008, 679 ff.; ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn 30; Jacobs/Krause/Oetker, § 6 Rn 217; Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rn 272 f.
[3114] So BAG 7.12.1977 – 4 AZR 474/76, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; statt vieler ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn 32 f.; vgl. zur historischen Entwicklung Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rn 223; v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138 ff.
[3115] Vgl. Conze, Rn 884 sowie jeweils § 2 der Muster Bund, VKA und TdL (Rn 262 ff.).
[3116] Vgl. APS/Steffan, § 613a BGB Rn 141 ff.
[3117] Vgl. Hohenstatt, NZA 2010, 23 ff.; vgl. Nerlich/Kreplin/Althaus, § 16 Rn 202 f. und Rn 287 ff.

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