Rz. 217

Für den Fall, dass der reale Nachlass durch lebzeitige Schenkungen geschmälert wurde, ist in § 2325 BGB ein Pflichtteilsergänzungsanspruch vorgesehen. Die Vorschrift wurde in Teilen durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts vom 24.9.2009[659] angepasst und regelt im Wesentlichen Folgendes:

[659] BGBl I 2009, 3142.

I. Person des Anspruchsberechtigten

 

Rz. 218

Anspruchsinhaber kann nur sein, wer (abstrakt) dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehört. Das Bestehen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs ist nicht erforderlich,[660] sodass auch für den gesetzlichen Erben[661] oder sogar den Alleinerben[662] Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht kommen können. Voraussetzung ist lediglich, dass der Anspruchsteller weniger erhält, als es der Summe aus Ergänzungspflichtteil und ordentlichem Pflichtteil entspricht.[663]

 

Rz. 219

Anspruchsberechtigt ist, wer im Zeitpunkt des Erbfalles zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählt. Nach früherer Rechtsprechung bezog sich der Schutzzweck des § 2325 BGB grundsätzlich nur auf diejenigen Personen, die sowohl im Zeitpunkt der Schenkung als auch beim Erbfall zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählen (sog. Doppelberechtigung des Pflichtteilsergänzungsberechtigten).[664]

 

Rz. 220

Der BGH hat aber mit Urteil vom 23.5.2012[665] die Theorie von der Doppelberechtigung aufgegeben und dadurch die bisherige (potentielle) Ungleichbehandlung zu unterschiedlichen Zeitpunkten geborener Abkömmlinge beseitigt. Das tragende Argument der Entscheidung ist, dass es für die (bisherige) Forderung nach einer Pflichtteilsberechtigung nicht nur zum Zeitpunkt des Erbfalls, sondern auch zur Zeit der Schenkung keinen Anhaltspunkt im Gesetz gibt. Das gilt prinzipiell für alle Pflichtteilsberechtigten. Zwar hat sich der BGH ausdrücklich nur zu Abkömmlingen des Erblassers geäußert, allerdings gibt es keinen rechtlichen tragfähigen Grund, die Rechtslage bzgl. des Ehegatten anders zu beurteilen.[666]

[660] Staudinger/v. Olshausen, § 2325 Rn 70.
[661] BGH NJW 1973, 995.
[662] Insoweit allerdings nur über § 2329 BGB, da der Alleinerbe natürlich nur gegenüber dem Beschenkten und nicht gegenüber sich selbst Ansprüche geltend machen kann. Nichtsdestotrotz setzt § 2329 BGB aber zunächst das Vorliegen des Tatbestands des § 2325 BGB voraus.
[663] Staudinger/v. Olshausen, § 2325 Rn 70.
[664] BGHZ 59, 210, 212 = ZEV 1997, 40; BGH NJW 1997, 2676; zur teilweise berechtigten Kritik vgl. Damrau/Tanck/Riedel, PK Erbrecht, § 2325 Rn 5 ff.
[665] ZErb 2012, 248 ff.
[666] BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 12; Otte, ZEV 2012, 482; Damrau/Tanck/Riedel, PK Erbrecht, § 2325 Rn 6.

II. Schenkungsbegriff

1. Allgemeines

 

Rz. 221

Pflichtteilsergänzungsansprüche können nur durch diejenigen Schenkungen ausgelöst werden, die der Erblasser selbst ausgeführt hat.[667] Der Schenkungsbegriff des § 2325 Abs. 1 BGB ist zwar grundsätzlich identisch mit dem der §§ 516, 517 und 1624 BGB.[668] Das bloße Fehlen der objektiven Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung reicht aber für die Annahme einer unentgeltlichen Zuwendung nicht aus.[669]

 

Rz. 222

Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist ausschließlich der Zeitpunkt der Zuwendung,[670] später eintretende Wertverschiebungen spielen grundsätzlich[671] keine Rolle. Dessen ungeachtet können sich aber auch nachträgliche Entgeltvereinbarungen bzw. Leistungen zwischen dem Erblasser und dem (vermeintlich) Beschenkten auf die Qualifikation der vom Erblasser erbrachten Leistung als Schenkung auswirken. Der Pflichtteilsberechtigte hat solche nachträglichen Vereinbarungen gegen sich gelten zu lassen.[672]

[667] Der "erweiterte Erblasserbegriff", demzufolge im Rahmen der Ausgleichung neben Zuwendungen des längstlebenden Elternteils auch diejenigen des Vorverstorbenen berücksichtigt werden können (§ 2052 BGB), gilt hier ausdrücklich nicht, MüKo/Lange, § 2325 Rn 14; ausdrücklich entschieden für die Berücksichtigung von Eigengeschenken i.S.d. § 2327 Abs. 1 BGB, vgl. BGHZ 88, 102 ff. = NJW 1983, 2875; vgl. auch Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 20.
[668] BGHZ 59, 132, 135 = NJW 1972, 1709; BGH NJW 1981, 1956; kumulativ müssen eine objektive Bereicherung des Dritten und die Einigung zwischen Erblasser und Zuwendungsempfänger über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung (§ 516 Abs. 1 BGB) vorliegen; RGZ 128, 188.
[669] Staudinger/v. Olshausen, § 2325 Rn 2.
[670] BGH NJW 1964, 1323.
[671] Vorbehaltlich späterer Anpassungen von Leistung und Gegenleistung.
[672] OLG Schleswig RNotZ 2012, 513.

2. Einzelfälle

 

Rz. 223

Unter den Schenkungsbegriff des § 2325 BGB sind auch belohnende (sog. remuneratorische) Schenkungen zu subsumieren.[673] Nach § 1624 Abs. 1 BGB gilt auch die Übermaßausstattung (hinsichtlich des Übermaßes) als Schenkung.[674]

 

Rz. 224

Zum Teil umstritten ist der Schenkungscharakter von Abfindungsleistungen, die im Gegenzug für einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht geleistet werden.[675] Nach richtiger Auffassung können derartige Zuwendungen aber i.d.R. nicht als Entgelt angesehen werden, sie lösen daher Pflichtteilsergänzungsansprüche aus.[676] Leistungen ...

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