Rz. 1

Die Testierfreiheit als Bestandteil der Erbrechtsgarantie gem. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG erlaubt es dem Erblasser, seine nächsten Verwandten von jeglicher Erbfolge auszuschließen. Das Pflichtteilsrecht in §§ 2303 ff. BGB wiederum begrenzt die Testierfreiheit, indem es den nächsten Angehörigen des Erblassers einen Mindestanteil am Nachlass sichert. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass den Erblasser gegenüber den Pflichtteilsberechtigten eine über seinen Tod hinausgehende Sorgfaltspflicht trifft.[1] Nach § 2317 Abs. 1 BGB entsteht der Anspruch auf den Pflichtteil aber grundsätzlich erst mit dem Erbfall.

Wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen eines Pflichtteilsanspruchs ist entweder gem. § 2303 BGB die Existenz einer wirksamen Verfügung von Todes wegen, durch die der Pflichtteilsberechtigte enterbt wird, oder gem. § 2306 BGB eine wirksame Verfügung von Todes wegen, durch die der Erbe beschwert wird, so dass er die Erbschaft (ohne Verlust seines Pflichtteilsrechts) ausschlagen kann.

Damit der Erblasser den Pflichtteilsanspruch nicht zu Lebzeiten umgehen kann, steht dem Pflichtteilsberechtigten neben dem ordentlichen Pflichtteilsrecht am tatsächlich (noch) vorhandenen Nachlass ein sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch bzgl. der vom Erblasser zu Lebzeiten (insbes. während der letzten zehn Jahren vor seinem Tod) getätigten Schenkungen zu. Für den Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte einen zu geringen Erbteil (oder Vermächtnis) erhalten hat, gewähren ihm die Vorschriften der §§ 2305 bis 2308 BGB zusätzliche Rechte. Des Weiteren ermöglichen die Vorschriften über die Anrechnung und Ausgleichung nach §§ 2315, 2316 BGB eine entsprechende Anpassung des Pflichtteilsanspruchs, wenn Erbe oder Pflichtteilsberechtigter bereits einen ausgleichungs- bzw. anrechnungspflichtigen Vorempfang erhalten haben.

Der Pflichtteilsanspruch ist gem. § 2317 Abs. 2 BGB sowohl vererblich als auch übertragbar. Die Vererblichkeit kann aber ggf. durch Pflichtteilsverzichtsverträge abbedungen werden.[2]

 

Rz. 2

Mit Beschluss vom 19.4.2005 hat das BVerfG festgestellt, dass "die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass" verfassungsrechtlich gewährleistet wird. Diese wirtschaftliche Mindestbeteiligung ist somit als ein tragendes Strukturprinzip durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt und gehört zu dem verfassungsrechtlich verbürgten Kerngehalt des deutschen Erbrechts.

 

Rz. 3

Das Pflichtteilsrecht spielt in der erbrechtlichen Mandatspraxis eine wichtige Rolle und begegnet einem in unterschiedlichen Konstellationen:

Nach dem Todesfall: Bei der außergerichtlichen oder gerichtlichen Durchsetzung oder der Abwehr von Pflichtteilsansprüchen sowie bei der Frage über die "taktische Ausschlagung" einer Erbschaft gemäß § 2306 BGB, um sich den ungeschmälerten Pflichtteil zu sichern.
Vor dem Todesfall: Im Bereich der Testaments- und Vertragsgestaltung, entweder mit dem Ziel, einen vorsorgenden (teilweisen) Pflichtteilsverzichtsvertrag abzuschließen oder durch "einseitige" Maßnahmen zu versuchen, nicht erwünschte Pflichtteilsansprüche weitestgehend zu reduzieren. (vgl. hierzu § 18)
Im Steuerrecht: Als Abzugsposten bei der Erbschaftsteuer des Verpflichteten (i.d.R. des Erben) oder im Rahmen der Besteuerung des Pflichtteilsberechtigten selbst. (vgl. hierzu § 30).
[1] Vgl. zu den rechtspolitischen Überlegungen zum Pflichtteilsrecht Strätz, FamRZ 1998, 1553, 1566.
[2] Staudinger/Herzog, § 2317 Rn 199.

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