a) Grundsätze des BGH

 

Rz. 275

Der BGH hat mit Urteil vom 28.4.2010[815] unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung die Frage der Bewertung kapitalbildender Lebensversicherungen bei widerruflicher Bezugsrechtseinräumung entschieden. Entscheidend ist demnach der Wert, "den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten – juristischen – Sekunde seines Lebens nach objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können". Demzufolge sei i.d.R. auf den Rückkaufswert abzustellen, u.U. auch auf einen objektiv belegten höheren möglichen Veräußerungspreis.[816]

 

Rz. 276

Nach Auffassung des BGH handelt es sich bei der widerruflichen Bezugsrechtseinräumung um eine Art "mittelbare Schenkung", da der Gegenstand der Bereicherung des Bezugsberechtigten nie Teil des Erblasservermögens gewesen sei, sondern vielmehr originär in der Person des Bezugsberechtigten entstehe.[817] Hieraus folgert er, dass für die Durchführung des Niederstwertprinzips (§ 2325 Abs. 2 S. 2 BGB) "der Wert des Entreicherungsgegenstands (in der letzten juristischen Sekunde, in der er sich noch im Vermögen des Erblassers befindet) mit dem Wert des Bereicherungsgegenstands (in der ersten juristischen Sekunde, in der er sich im Vermögen des Bezugsberechtigten befindet) verglichen werden" müsse.[818]

 

Rz. 277

Als zutreffenden Bewertungsmaßstab (unabhängig vom Bewertungszeitpunkt) sieht der BGH den Rückkaufswert an, und zwar ohne irgendwelche Abschläge im Hinblick auf den noch nicht eingetretenen Versicherungsfall.[819] Soweit im Einzelfall die Möglichkeit bestanden hätte, den Versicherungsvertrag am Zweitmarkt zu verkaufen (etwa an gewerbliche Aufkäufer oder entsprechende Investmentfonds) oder aber einem Dritten gegen Entgelt ein (unwiderrufliches) Bezugsrecht einzuräumen, soll das hierbei erzielbare Entgelt maßgeblich sein.

[815] ZErb 2010, 189.
[816] Vgl. BGH ZErb 2010, 189, Ziff. 2 des Leitsatzes.
[817] BGH ZErb 2010, 189, 190.
[818] Ablehnend (und zwar mit dogmatisch überzeugender Argumentation) Progl, ZErb 2010, 194, 195.
[819] BGH ZErb 2010, 189, 193.

b) Folgerungen für den Fall der unwiderruflichen Bezugsrechtseinräumung bei kapitalbildenden Lebensversicherungen

 

Rz. 278

Das Urteil des BGH vom 28.4.2010 beschäftigt sich ausdrücklich nur mit der Einräumung eines widerruflichen Bezugsrechts für eine kapitalbildende Lebensversicherung. Aus der Argumentation des BGH lassen sich aber auch Rückschlüsse ziehen, wie andere Konstellationen im Zusammenhang mit Lebensversicherungen zukünftig zu beurteilen sind: So wird man unterstellen können, dass auch bei der Einräumung eines unwiderruflichen Bezugsrechts zunächst der Rückkaufswert der Versicherung im Zeitpunkt der Einräumung des unwiderruflichen Bezugsrechts (Bewirkung der Schenkung) im Rahmen etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche zu berücksichtigen ist.[820] Insoweit ist aber zu beachten, dass hinsichtlich dieses Werts mit Bezugsrechtseinräumung die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB zu laufen beginnt.[821] Soweit der Erblasser auch nach der Einräumung des unwiderruflichen Bezugsrechts noch weitere Versicherungsprämien leistet, handelt es sich hierbei – und zwar bei jeder einzelnen Prämienzahlung – ggf. um weitere ergänzungspflichtige Zuwendungen.[822] Im Rahmen des Niederstwertprinzips kann allerdings zu prüfen sein, inwieweit die weiteren Prämienzahlungen überhaupt zu einer (zusätzlichen) Wertsteigerung des Versicherungsverhältnisses geführt haben. Hätte bspw. der Versicherungsvertrag beitragsfrei gestellt werden können, ohne dass es hierdurch zu einer Reduzierung der Todesfallleistung gekommen wäre, wären die weiteren Prämienzahlungen durch den Erblasser im Rahmen der Bestimmung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht zu berücksichtigen.[823]

[820] Ebenso Herrler, ZEV 2010, 333, 337, der allerdings im Hinblick auf die Ungewissheit, wann der Versicherungsfall eintritt, einen "angemessenen Abschlag" als geboten erachtet. Dem ist im Hinblick auf den Normzweck des § 2325 BGB nicht zuzustimmen. Denn Bemessungsgrundlage des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist nicht der Wert, den der Schenkungsgegenstand in der Hand des Beschenkten hat, sondern der Wert, der aus dem Vermögen des Erblassers/Schenkers abfließt. Dies ist der ungekürzte Rückkaufswert.
[821] Ahrens, ErbR 2008, 247; Leitzen, RNotZ 2009, 129, 144; Herrler, ZEV 2010, 333, 337 m.w.N.
[822] Ebenso Herrler, ZEV 2010, 333, 337.
[823] Vgl. hierzu auch Herrler, ZEV 2010, 333, 337 unter Hinweis auf BGH ZErb 2010, 189, 192.

c) Folgerungen für Risikolebensversicherungen

 

Rz. 279

Soweit es sich bei dem Versicherungsverhältnis um eine reine Risikolebensversicherung handelt, existiert kein Rückkaufswert. Leistungsansprüche gegenüber der Versicherungsgesellschaft bestehen erst bei Eintritt des Versicherungsfalls, also beim Tod der versicherten Person. Nichtsdestotrotz ist die Bezugsrechtszuwendung auch bei einer reinen Risikoversicherung nicht zwingend ohne Wert. Dies belegt bereits der Umstand, dass auch (ja sogar gerade) Risikolebensversicherungen durchaus auf dem Zweitmarkt gehandelt werden. Nach den Vorgaben des BGH im Zusammenhang mit kapitalbildenden Lebensversicherungen muss ein möglicher Verkaufserlös auch hier ...

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