a) Grundsätzliches

 

Rz. 284

Im Innenverhältnis verteilt das Gesetz in den §§ 2318 bis 2323 BGB die Pflichtteilslast auf Erben, Vermächtnisnehmer und Auflagenbegünstigte. §§ 2318 bis 2324 BGB regeln aber – mit Ausnahme der Einrede nach § 2319 BGB – nur das Innenverhältnis. Im Außenverhältnis bleibt es bei der alleinigen Haftung der Erben.[830] Nach § 2318 Abs. 1 BGB hat der Erbe gegenüber dem Vermächtnisnehmer das Recht zur Vermächtniskürzung, wenn die Erbschaft mit einem Pflichtteilsanspruch belastet ist. Der Vermächtnisnehmer[831] hat hier die Pflichtteilslast entsprechend dem Verhältnis des Werts seines Vermächtnisses zum Wert des Gesamtnachlasses zu tragen.[832]

 

Rz. 285

 

Beispiel

Erblasser E setzt seinen Freund F zum Alleinerben ein. Zugunsten seines weiteren Freundes A setzt er ein Vermächtnis i.H.v. 20.000 EUR aus. Sein Sohn S, der einzige gesetzliche Erbe, ist enterbt. Der Nachlasswert beträgt 100.000 EUR. S verlangt von F den Pflichtteil.

S hat als einziger gesetzlicher Erbe einen Pflichtteilsanspruch von ½ des Nachlasses, mithin also 50.000 EUR. Nach § 2318 Abs. 1 BGB kann F die Erfüllung des Vermächtnisses an A teilweise verweigern. Das Verhältnis zwischen Vermächtnis und Nachlass beträgt 20 : 100. Mithin muss sich A im Innenverhältnis zu F im Verhältnis 20/100 = 1/5 an der Pflichtteilslast beteiligen. 1/5 von 50.000 EUR sind 10.000 EUR. In dieser Höhe kann A die Erfüllung des Vermächtnisses verweigern. Der Vermächtnisanspruch ist daher um 10.000 EUR auf 10.000 EUR zu kürzen. Bei F verbleibt eine Pflichtteilslast i.H.v. 40.000 EUR.

Formel: Kürzungsrecht bei Vermächtnissen gem. § 2318 Abs. 1 BGB

 

Rz. 286

Voraussetzung für die Geltendmachung des Kürzungsrechts ist, dass der Pflichtteilsanspruch bereits konkret geltend gemacht wurde.[833] Solange eine wirtschaftliche Belastung nicht besteht, ist der Erbe auf den Schutz des § 2318 BGB nicht angewiesen. Hat der Erbe bei der Vermächtniserfüllung den Pflichtteilsanspruch nicht berücksichtigt und das Vermächtnis in voller Höhe ausbezahlt, steht ihm insoweit ein Rückforderungsanspruch gegen den Vermächtnisnehmer bzw. den Auflagenbegünstigten zu (§ 813 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2318 BGB).[834]

[830] Damrau/Tanck/Lenz-Brendel, PK Erbrecht, § 2318 Rn 1.
[831] Das Kürzungsrecht des § 2318 Abs. 1 BGB kann neben den Erben auch den Vermächtnisnehmern selbst zustehen (§ 2188 BGB), wenn diese ihrerseits mit einem Untervermächtnis belastet sind. Sind mehrere Vermächtnisnehmer vorhanden, steht jedem von ihnen ein verhältnismäßiges Kürzungsrecht zu, Staudinger/Herzog, § 2318 Rn 14.
[832] Dasselbe gilt auch für das Kürzungsrecht gegenüber dem durch eine Auflage Begünstigten, vgl. Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 6 Rn 100.
[833] OLG Frankfurt FamRZ 1991, 238, 240; Damrau/Tanck/Lenz-Brendel, PK Erbrecht, § 2318 Rn 5 m.w.N.
[834] Dies gilt auch dann, wenn der Pflichtteilsschuldner in Unkenntnis seines Kürzungsrechts den Pflichtteil bereits geleistet hat, KG FamRZ 1977, 267, 269.

b) Pflichtteilsberechtigter Vermächtnisnehmer

 

Rz. 287

Durch § 2318 Abs. 2 BGB wird das Kürzungsrecht des Erben eingeschränkt, wenn der Vermächtnisnehmer selbst pflichtteilsberechtigt ist. Die Kürzung ist dann nur in dem Maße zulässig, als dem Vermächtnisnehmer wenigstens sein Pflichtteil verbleibt. Trifft der Erblasser durch letztwillige Verfügung eine von diesem Grundsatz abweichende Anordnung, ist diese unbeachtlich.[835] Bei Kürzung eines einem in Zugewinngemeinschaft verheirateten Ehegatten zugewendeten Vermächtnisses ist stets der große Pflichtteil zugrunde zu legen.[836]

[835] Wegen weiterer Einzelheiten vgl. Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 6 Rn 108 ff.
[836] Staudinger/Herzog, § 2318 Rn 20.

c) Pflichtteilsberechtigter Erbe

 

Rz. 288

Eine nicht ganz eindeutige Regelung bildet das sog. "erweiterte" Kürzungsrecht nach § 2318 Abs. 3 BGB.[837] Hiernach kann der pflichtteilsberechtigte Erbe wegen einer von ihm zu tragenden Pflichtteilslast Vermächtnisse kürzen, wenn ihm sonst sein eigener Pflichtteil nicht verbleiben würde.[838] Andernfalls gelten die Vermächtnisse gegenüber dem pflichtteilsberechtigten Erben als nicht angeordnet.

 

Rz. 289

 

Beispiel

Erblasser E setzt seinen Sohn K 1 zum Alleinerben ein und vermacht seinem Freund F einen Vermächtnisanspruch i.H.v. 22.000 EUR. Der Nachlass hat einen Wert von 30.000 EUR; Sohn K 2 ist enterbt und macht seinen Pflichtteil geltend.

Sohn K 1 muss den Pflichtteil von K 2 i.H.v. 7.500 EUR auszahlen. Er kann aber nach § 2318 Abs. 1 BGB im Innenverhältnis das Vermächtnis um 5.500 EUR (7.500 EUR x 22.000 EUR : 30.000 EUR = 5.500 EUR) kürzen. K 1 müsste daher insgesamt 24.000 EUR (Vermächtnis 16.500 EUR und Pflichtteil 7.500 EUR) ausbezahlen. Ihm selbst würden also nur 6.000 EUR verbleiben, 1.500 EUR weniger als sein eigener Pflichtteil. Hier greift das erweiterte Kürzungsrecht des § 2318 Abs. 3 BGB ein. K 1 kann das Vermächtnis zum Schutz seines eigenen Pflichtteils um weitere 1.500 EUR kürzen.

 

Rz. 290

Nach h.M. schützt § 2318 Abs. 3 BGB den Pflichtteil des Erben aber nur dann, wenn außer seinem eigenen noch weitere Pflichtteilsansprüche zu beachten sind, also nu...

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