1. Gesetzlicher Güterstand

 

Rz. 95

Gesetzlicher Güterstand nach französischem Recht ist die Errungenschaftsgemeinschaft (communauté reduite aux acquêts, Art. 1400 ff. c.c.).[86] Alles, was die Eheleute nach der Eheschließung entgeltlich erworben haben, bildet ihr Gesamtgut und ist Teil der ehelichen Gütergemeinschaft. Im Erbfall ist das Gesamtgut vor Auseinandersetzung des Nachlasses zwischen dem überlebenden Ehegatten und dem Nachlass hälftig zu teilen, Art. 1441 c.c. Darüber hinaus hat der Überlebende gem. Art. 1481 c.c. Anspruch auf Deckung seiner Kosten für Kost und Logis für die Dauer von neun Monaten nach dem Erbfall auf Kosten des Gesamtgutes. Die schwache erbrechtliche Stellung des Ehegatten wird also in gewisser Weise dadurch kompensiert, dass er auf güterrechtlichem Wege Vermögen erhält.

[86] Ausführlich Döbereiner, in: Süß/Ring, Eherecht in Europa, Frankreich Rn 62 ff.

2. Pflichtteilsrechtliche Auswirkungen ehevertraglicher Modifikationen

 

Rz. 96

Der Vorrang der güterrechtlichen vor der erbrechtlichen Auseinandersetzung gilt auch für den Fall vertraglich vereinbarter Güterstände. So ist in Frankreich eine Vertragsgestaltung verbreitet, wonach der überlebende Ehegatte vor der Teilung einen bestimmten Geldbetrag, bestimmte Sachen oder eine bestimmte Menge von Dingen bestimmter Art entnehmen kann (clause de préciput, Art. 1515 c.c.). Das préciput gilt kraft Gesetzes (Art. 1516 c.c.) nicht als Schenkung, sondern als entgeltliche güterrechtliche Vereinbarung. Daher kann der Überlebende dem Gesamtgut zunächst das préciput entnehmen, also z.B. ein Haus, ein Unternehmen, den Hausrat oder einen bestimmten Betrag des Geld- und Anlagevermögens, und hat nur den Rest den Erben zu überlassen.

 

Rz. 97

Im gesetzlichen Güterstand, aber auch bei Vereinbarung der Gütergemeinschaft (communauté universelle) oder der Fahrnisgemeinschaft (communauté des meubles et acquêts) wäre das gemeinschaftliche Vermögen der Eheleute hälftig zu teilen, soweit es sich nicht um Vorbehaltsgut handelt. Die Eheleute können aber für den Fall des Versterbens eines von ihnen zugunsten des jeweils Überlebenden eine ungleiche Teilung des Gesamtgutes (stipulations de parts inégales) vorsehen oder gar, dass der Überlebende das volle Gesamtgut erhält (clause d’attribution intégrale, Art. 1524 c.c.). Auch diese Vereinbarung gilt nicht als Schenkung, Art. 1527 Abs. 1 c.c.[87]

 

Rz. 98

Da beide Formen dieser Begünstigung des überlebenden Ehegatten (avantages matrimoniaux) gesetzlich nicht als unentgeltliche Zuwendung, sondern als entgeltliches güterrechtliches Geschäft qualifiziert werden, unterliegen sie nicht der Herabsetzungsklage durch die Abkömmlinge.[88] Vielmehr sind sie nach französischem Recht pflichtteilsfest. Eine Ausnahme gilt allein für den Fall, dass nicht gemeinschaftliche Kinder des Erblassers (also Stiefkinder der überlebenden Ehegatten) vorhanden sind. Aus deren Sicht würden die avantages matrimoniaux nicht lediglich dazu führen, dass der Erwerb des Vermögens durch sie bis zum Tode des überlebenden Ehegatten aufgeschoben ist, wie es bei gemeinschaftlichen Kindern der Fall wäre. Vielmehr würde ihnen das Vermögen des verstorbenen Elternteils endgültig entzogen, da sie den überlebenden Elternteil voraussichtlich nicht beerben werden. Art. 1527 Abs. 2 c.c. stellt daher in diesem Fall das Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge in Bezug auf den die disponible Quote übersteigenden Wert der Zuwendung wieder her.[89] Dieses Recht steht dann auch den gemeinschaftlichen Abkömmlingen zu.[90] Der durch die Reform vom 23.6.2006 neu eingeführte Art. 1527 Abs. 3 c.c. lässt es aber zu, dass die Stiefkinder durch "vorweggenommene Ausschlagung" gem. Art. 929 c.c., also quasi durch einen gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzicht, zu Lebzeiten des Erblassers auf die Herabsetzung des pflichtteilsverletzenden Teils der Zuwendung verzichten.

[87] Ausführlich Döbereiner, in: Süß, Erbrecht in Europa, Frankreich Rn 153 ff.; Sonnenberger, Der Erbfall X: Französisches Ehegüter- und Erbrecht vor dem deutschen Nachlassrichter, in: FS Geimer, 2002, S. 1241.
[88] Insbesondere führt die fehlende Unentgeltlichkeit nach französischem Recht dazu, dass (nach französischem Steuerrecht) keine Schenkungsteuer anfällt, siehe Gottschalk, ZEV 2006, 105. Im deutschen Steuerrecht wird freilich diese Regel nicht beachtet, so dass der güterrechtliche Anwachsungserwerb als Erbanfall i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu behandeln ist, BFH ZEV 2012, 621.
[89] Nach dem bis 2002 geltenden Recht galt diese Bestimmung nur zugunsten von Kindern aus einer vorangegangenen Ehe, außereheliche Kinder waren also von der Erhebung der Herabsetzungsklage ausgeschlossen.
[90] Döbereiner, in: Süß, Erbrecht in Europa, Frankreich Rn 173.

3. Kollisionsrechtliche Behandlung aus deutscher Sicht

 

Rz. 99

Umstritten ist die kollisionsrechtliche Einordnung (Qualifikation) der Wirksamkeit derartiger Vereinbarungen. Da sie die Vereinbarung der Gütergemeinschaft bzw. das Bestehen eines vergemeinschaftenden Güterstands voraussetzen und die Teilung des ehelichen Gesamtgutes betreffen, liegt eine güterrechtliche Qualifikation (Art. 15 EGBGB) nahe. Das entspricht auch der allg...

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