Rz. 218

Die Summe der Pflichtteilsquoten ist nicht, wie im deutschen Recht, auf einen bestimmten Teil des Nachlasses begrenzt. Vielmehr variiert sie je nach Anzahl und verwandtschaftlicher Nähe der Pflichtteilsberechtigten. Auch die Quote des Ehegatten richtet sich danach, mit welchem Grad und welcher Anzahl von Verwandten er zusammentrifft.

 

Rz. 219

Der überlebende Ehegatte und der Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft erhält neben seiner Pflichtteilsquote ein gesetzliches Vorausvermächtnis gem. Art. 540 Abs. 2 C.C. Dieses Recht umfasst zunächst ein nießbrauchsähnliches dingliches Wohnrecht an der zur gewöhnlichen Wohnung der Familie bestimmten Immobilie. Dies gilt selbst dann, wenn die Größe der Wohnung die Bedürfnisse des alleinstehenden Ehegatten überschreitet.[250] Hatte der Verstorbene an dem Gebäude lediglich einen Miteigentumsanteil oder ein Nutzungsrecht, erstreckt sich der Voraus auf diese Rechtsposition. Eine nicht dauerhaft genutzte Ferienwohnung erfasst der Voraus nicht. Des Weiteren umfasst der Voraus ein – ebenfalls dingliches – Nutzungsrecht an den Einrichtungsgegenständen der Wohnung. Dieser Begriff wird weit ausgelegt und umfasst auch die zum Schmuck des Hauses oder zur Benutzung durch die Bewohner bestimmten Gegenstände. Ausgeschlossen sind Sammlungen von hohem Wert, deren Funktion über die reine Ausschmückung des Hauses hinausgeht,[251] was bei Münz- oder Briefmarkensammlungen der Fall sein kann, nicht aber bei Bibliotheken oder antiken Gemälden, die zur angemessenen Einrichtung des Hauses gehören können.[252]

 

Rz. 220

 

Praxishinweis

Probleme für die Fassung eines deutschen Erbscheins ergeben sich hieraus nicht, da bzgl. des Hausrats ein Erwerb im Vermächtniswege eintritt, also keine im Erbschein auszuweisende Universalsukzession vorliegt.[253]

 

Rz. 221

Der Voraus tritt zu den Pflichtteilsquoten hinzu, belastet also den pflichtteilsfreien (frei verfügbaren) Teil des Nachlasses, Art. 540 Abs. 2 S. 2 C.C., damit die anderen Noterben ihren Pflichtteil lastenfrei erhalten können. Die Bewertung des Voraus bzw. der entsprechend belasteten Gegenstände erfolgt anhand der Bewertungsgrundsätze für Nießbrauchsrechte unter Berücksichtigung des Alters des Ehegatten.[254] Soweit der pflichtteilsfreie Nachlass zur Befriedigung des Voraus nicht ausreicht, belastet der Voraus im Übrigen zunächst die dem Ehegatten selber zustehende Noterbquote und schließlich, soweit auch diese nicht ausreicht, die Noterbquote der Kinder. Umstritten ist, ob das Nutzungsrecht nach Wiederverheiratung des Ehegatten fortbesteht. Die wohl überwiegende Ansicht bejaht dies unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut. Eine testamentarische Anordnung, die den Voraus für den Fall der Wiederverheiratung auflösend bedingt stellt, ist unzulässig.[255] Zur Entstehung des Nießbrauchs ist nicht einmal die Erhebung der Herabsetzungsklage erforderlich, es sei denn, der Erblasser hat durch das Testament die entsprechenden Rechte unmittelbar einer anderen Person zugewandt.[256]

 

Rz. 222

 

Praxishinweis

Der Voraus führt insbesondere auch bei der gesetzlichen Erbfolge zu einer Reduzierung der Erbrechte der Kinder. Bei entsprechender Zusammensetzung des Nachlasses kann das Vorausvermächtnis sogar dazu führen, dass die Kinder überhaupt keinen Erbteil erhalten[257] bzw. der Nachlass keinerlei pflichtteilsfreies Vermögen enthält.[258]

 

Rz. 223

Die den einzelnen Pflichtteilsberechtigten zustehenden Quoten, insbesondere das Konkurrenzverhältnis bei unterschiedlicher Berufung, ergeben sich wie folgt:

 
Kinder[259] Aszendenten[260] Ehegatte/Lebenspartner[261] Noterbquoten Freiteil
1     alleiniges Kind ½ ½
2     beide Kinder je ⅓
3     alle drei Kinder je 2/9
über 3     alle Kinder zusammen ⅔
1   x

Kind ⅓

Ehegatte ⅓ + Voraus
⅓ – Voraus
2   x

beide Kinder je ¼

Ehegatte ¼ + Voraus
¼ – Voraus
3 oder mehr   x

alle Kinder zusammen ½

Ehegatte ¼ + Voraus
¼ – Voraus
    x Ehegatte ½ + Voraus ½ – Voraus
  x x

Ehegatte ½ + Voraus

Aszendenten insgesamt ¼
¼ – Voraus
  x   Aszendenten insgesamt ⅓
 

Rz. 224

Zur Berechnung der konkreten Höhe des Pflichtteils sind gem. Art. 556 C.C. vom Nachlass zunächst die Nachlassverbindlichkeiten und Erbfallschulden abzuziehen.[262] Hinzuzurechnen sind sämtliche lebzeitigen Schenkungen des Erblassers, gemischte Schenkungen, soweit sie den Wert der Gegenleistung übersteigen, Schenkungen unter Auflage, soweit sie den Wert der Beschwerung überschreiten, und Anstandsschenkungen, soweit sie über das übliche Maß hinausgehen. Auch Vermögen, das der Erblasser einer Tochter oder anderen Personen als Mitgift gegeben hat, ist dem Nachlass zuzurechnen (riunione fittizia). Eine zeitliche Beschränkung für die Einbeziehung besteht nicht. Zur Bewertung der Schenkungen wird auf den Zeitpunkt des Erbfalls abgestellt. Verbesserungen und schuldhaft verursachte Verschlechterungen von Immobilien bleiben in entsprechender Anwendung der für die Kollation geltenden Regeln, Art. 556 C.C., außer Betracht, Art. 747 C.C. Für verbrauchbare oder Verschleiß unterliegende ...

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