Rz. 557

In den USA ist das Zivilrecht interlokal gespalten. Jeder der 50 Einzelstaaten hat nicht nur ein eigenes materielles Erbrecht, sondern auch ein eigenes Erbkollisionsrecht. Dabei gelten sowohl im Verhältnis der Erbrechtssysteme einzelner US-Staaten untereinander (interlokal) als auch im Verhältnis zum Erbrecht ausländischer Staaten (internationales Erbrecht) in den meisten US-Staaten dieselben Regeln, nämlich die mit dem englischen common law übernommenen kollisionsrechtlichen Regeln. In einigen US-Staaten gelten diese noch gewohnheitsrechtlich fort, während sie in manchen schon kodifiziert worden sind. Ausnahmen gelten insoweit allein für die Staaten Louisiana,[530] Puerto Rico[531] und Mississippi.[532]

 

Rz. 558

Dementsprechend wird in der Mehrzahl der US-Staaten die Erbfolge des unbeweglichen Vermögens (immovable property) bei gesetzlicher wie testamentarischer Erbfolge dem jeweiligen Belegenheitsrecht unterstellt. Für die Erbfolge des beweglichen Vermögens (movable property) wird auf das Recht am domicile des Erblassers verwiesen.[533] Das Belegenheitsrecht entscheidet dabei auch, ob es sich bei einem dort belegenen Gegenstand um bewegliches oder unbewegliches Vermögen handelt (Qualifikationsverweisung).[534]

 

Rz. 559

Das domicile i.S.d. US-amerikanischen Rechtsordnungen erfordert eine Verbindung zu einem bestimmten Rechtsgebiet, die enger ist, als es für einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. deutschen Rechts verlangt wird. Das domicile ist dort, wo jemand zu Hause ist, sein "home" hat. Ein doppeltes domicile ist nicht denkbar. Das domicile wird zunächst durch Geburt begründet. Dieses domicile of origin ist regelmäßig das gemeinsame domicile der Eltern.[535] Eine volljährige Person kann ein eigenes domicile begründen. Voraussetzung für die Begründung eines derartigen domicile of choice ist, dass sich die Person in einem bestimmten Rechtsgebiet tatsächlich aufhält und beabsichtigt, dort ein domicile zu begründen. Diese Absicht liegt z.B. dann vor, wenn die betroffene Person eine Wohnung an dem neuen Ort zur dauernden Wohnung machen will.[536] Im Vergleich zum englischen Recht ist nicht der Wille erforderlich, endgültig dort zu bleiben. Es genügt die Absicht, für eine unbestimmte Zeit zu bleiben.[537] Typische Indizien für einen Bleibewillen sind der Ankauf oder die Anmietung einer Wohnung, der Umzug der gesamten Familie, die Aufgabe der alten Wohnung und die Aufnahme gesellschaftlicher Aktivitäten am neuen Wohnort. Bei beruflicher Versetzung hingegen – Musterbeispiel waren die in Deutschland stationierten US-Soldaten und ihre Familien – fehlt es regelmäßig am Willenselement.[538] Bei Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts am domicile bleibt das bisherige domicile bis zur Begründung eines neuen domicile weiterhin bestehen, während nach englischer Rechtsauffassung das domicile of origin wiederaufleben würde.[539]

[530] Art. 3528 ff. Louisiana Civil Code, siehe Jayme, IPRax 1993, 56 ff.; dt. Übersetzung in Kropholler/Krüger/Riering/Samtleben/Siehr, Außereuropäische IPR-Gesetze, S. 1013 ff. Diese Regeln gehen auf das französische IPR zurück, sind mittlerweile jedoch weitgehend dem Recht der anderen US-Staaten angeglichen worden.
[531] Art. 10 Código Civil Puerto Rico verweist für die Erbfolge des beweglichen Nachlasses auf das "Heimatrecht" des Erblassers, welches allerdings von den Gerichten als "domicile" interpretiert wird, so dass im Ergebnis doch das Gleiche gilt wie in den übrigen US-Staaten.
[532] § 91.1.1 Mississippi Code 1972 unterstellt nicht nur die Erbfolge des in Mississippi belegenen unbeweglichen, sondern auch des in Mississippi belegenen beweglichen Nachlasses dem Erbrecht von Mississippi.
[533] Scoles/Hay, Conflict of Laws, § 20.2, § 20.3; Staudinger/Dörner, Anh. zu Art. 25 f. EGBGB Rn 926.
[534] KG ZEV 2012, 593; für die Restitutionsansprüche bzgl. in der damaligen DDR belegener Grundstücke vgl. § 10 Rn 27.
[535] Z.B. Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, 3. Aufl., New York 1986, S. 13.
[536] Weintraub, Commentary on the Conflict of Laws, S. 16 m.w.N.
[537] Scoles/Hay, Conflict of Laws, § 4.20.
[538] Scoles/Hay, Conflict of Laws, § 4.25 – der allerdings darauf hinweist, dass auch bei einer "von oben angeordneten" Versetzung sich die Betroffenen in dem neuen Wohnort einrichten können und insbesondere dann ein domicile am Dienstort errichten, wenn sie mit ihren Familien außerhalb der Basis leben und an gesellschaftlichen Aktivitäten der örtlichen Gemeinschaft teilnehmen.
[539] Damit ist – grob gesagt – das domicile amerikanischen Typs am ehesten dem gewöhnlichen Aufenthalt "kontinentalen Rechts" vergleichbar, während das domicile britischen Typs mit seiner Stabilität eher der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit nahe kommt.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge