1. Grundsätzlich keine Vorwegnahme der Hauptsache
Rz. 65
Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist grundsätzlich nicht zulässig. Eine derartige Vorwegnahme kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es für den ASt. schlechthin unzumutbar ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Davon ist nur dann auszugehen, wenn dem ASt. ohne die begehrte Erteilung schwerwiegende Nachteile drohen, die ihm nicht zuzumuten sind. Hierfür reicht es nicht aus, wenn sich die Beeinträchtigungen lediglich im privaten Bereich bewegen, auch wenn der ASt. diese als erhebliche Belastung empfindet. Anders kann es dagegen sein, wenn Beeinträchtigungen in beruflicher Hinsicht vorliegen.
Rz. 66
Über diese besondere Dringlichkeit hinaus müssen überwiegende Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegeben sein. Beide Voraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden. Es sind jeweils auch die betroffenen öffentlichen Interessen zu berücksichtigen.[52] Es kann nur in ganz zugespitzten Fällen vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache eine Ausnahme gemacht werden.[53]
Rz. 67
Fälle: Der Antrag, die Fahrerlaubnisbehörde im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, dem ASt. (nach §§ 8, 15c StVZO a.F.) eine FE zu erteilen, ohne zuvor eine medizinisch-psychologische Untersuchung durchführen zu lassen, liefe auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache hinaus. Dem ASt. ist es nicht schlechthin unzumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Neben der fehlenden besonderen Dringlichkeit fehlt es hier auch an der überwiegenden Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Dazu genügt es nämlich nicht, dass die Entziehung der FE als erhebliche Belastung im privaten Bereich empfunden wird.[54]
Rz. 68
Geht es dem ASt. um die Klärung der Frage, ob im Rahmen einer Neuerteilung der FE eine MPU verlangt werden kann, so scheitert hier eine einstweilige Anordnung bereits deshalb, weil die isolierte Klärung der rechtlichen Frage, ob eine MPU verlangt werden kann oder nicht – jedenfalls nach herrschender Rechtsprechung – auch nicht im Hauptsacheverfahren geklärt werden könnte.[55]
Rz. 69
Überhaupt ist die isolierte Klärung einer Rechtsfrage (Begehren, über einen Antrag auf Neuerteilung der FE nach Recht und Gesetz zu entscheiden[56]) eine vorweggenommene und damit unzulässige Prüfung der Rechtslage im Hinblick auf das vom ASt. in der Hauptsache zu verfolgende Begehren.[57]
Rz. 70
Die Neuerteilung der FE im Wege der einstweiligen Anordnung schon vor einer Entscheidung in der Hauptsache hat auch der VGH BW grundsätzlich abgelehnt,[58] auch wenn anzuerkennen ist, dass der Besitz der FE es ermöglicht, unter erleichterten Bedingungen familiäre und soziale Kontakte zu pflegen. Sie ist jedenfalls nicht erforderlich, um den ASt. vor schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen zu bewahren.[59]
2. Ausnahme vom Verbot, die Hauptsache vorwegzunehmen
Rz. 71
Eine Ausnahme vom Verbot, die Hauptsache vorwegzunehmen, hat das OVG NW bei einem nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO gestellten Antrag auf Wiedererteilung der FE zur Fahrgastbeförderung angenommen, da dieser Anspruch ansonsten in angemessener Zeit nicht zu verwirklichen sei und da dies für den ASt. zu unzumutbaren Folgen führen würde. Seinen glaubhaften Angaben zufolge bestritt er nämlich seinen Lebensunterhalt für sich, seine Ehefrau und für seine vier Kinder seit Jahren ausschließlich durch seinen Verdienst aus der Beförderung von Fahrgästen. Da der ASt. auch den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hatte, wurde seinem Begehren stattgegeben.[60]
3. Entscheidung im Rahmen des Eilrechtsschutzes: Begrenzung auf Entscheidungsrahmen der Hauptsache
Rz. 72
Nach h.M. darf im Eilverfahren nicht über den Entscheidungsrahmen des Hauptsacheverfahrens hinausgegangen werden. Dies ist vor allem beachtlich im Zusammenhang mit Ent...
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