Rz. 34

Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines unzulässigen Differenzierungsmerkmales ggü. anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges sachliches Ziel gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich, § 3 Abs. 2 AGG. Umgekehrt bedeutet dies, dass keine mittelbare Benachteiligung vorliegt, wenn die mittelbare Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist (Nicolai, AGG, § 1 Rn 72).

 

Rz. 35

Zunächst muss geprüft werden, ob eine dem Anschein nach neutrale Vorschrift, Kriterien oder Verfahren vorliegen, die mittelbar benachteiligend wirken. Die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind dem Anschein nach neutral, wenn sie nicht direkt an unzulässige Differenzierungsmerkmale anknüpfen, jedoch bei dem faktischen Vollzug dieser Vorschriften einige Personen benachteiligt werden. Zur Feststellung einer mittelbaren Benachteiligung ist die Bildung einer Vergleichsgruppe nicht benachteiligter Arbeitnehmer erforderlich (BT-Drucks 16/1780, 32 f.). Eine solche zunächst neutrale Vorschrift ist z.B. eine Stellenausschreibung, die kein Lebensalter, jedoch das Erfordernis des ersten Berufsjahres nennt. Damit wird mittelbar an das Lebensalter von Bewerbern geknüpft, ältere Bewerber werden dadurch mittelbar benachteiligt (LAG Hessen v. 6.3.2008 – 9 TaBV 251/07). Die Benachteiligten müssen von der Vorschrift oder den Kriterien oder Verfahren konkret betroffen sein, eine reine Gefährdung reicht hier ebenso wie bei der unmittelbaren Benachteiligung nicht aus.

 

Rz. 36

Wenn eine solche zunächst neutrale Vorschrift, Kriterien oder Verfahren vorliegen, wird vermutet, dass es sich dabei um eine unrechtmäßige Benachteiligung handelt. Daher muss in einem weiteren Schritt geprüft werden, ob diese durch ein rechtmäßiges sachliches Ziel gerechtfertigt und zudem das Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich ist. Rechtmäßige Ziele i.S.d. § 3 Abs. 2 AGG können alle nicht ihrerseits diskriminierenden und auch sonst legale Ziele sein. Dazu zählen auch privatautonom festgelegte Ziele des Arbeitgebers wie bspw. betriebliche Notwendigkeiten und Anforderungen an persönliche Fähigkeiten des Arbeitnehmers. Auch die möglichst optimale Erledigung der anfallenden Arbeit kann ein solches rechtmäßiges Ziel darstellen (BAG v. 28.1.2010 – 2 AZR 764/08). Demnach sind i.R.d. Prüfung einer mittelbaren Benachteiligung Rechtfertigungsgründe zu prüfen. Auf die speziellen Rechtfertigungsgründe der §§ 5, 810, 20 AGG kommt es meistens nicht mehr an. Eine Rechtfertigung kann etwa darin bestehen, dass zwischen den begünstigten und den belasteten Personen sachliche Unterschiede vorliegen, an die die differenzierende Maßnahme anknüpft (EuGH v. 21.10.1999, AP EG-Vertrag Art. 119 Nr. 14, wo eine Gratifikation an das aktive Beschäftigungsverhältnis anknüpfen durfte, obwohl Erziehungsurlauberinnen dadurch ausgeschlossen wurden).

 

Rz. 37

 

Beispiele

Die Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten und Vollzeitbeschäftigten stellt zunächst eine neutrale Vorschrift dar. Jedoch führt die an sich geschlechtsneutral formulierte Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten zu einer mittelbaren Benachteiligung von Frauen, da der Anteil an Frauen an der Gesamtzahl der Teilzeitbeschäftigten über 90 % liegt. Eine Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten ist inzwischen aufgrund der Einführung § 4 Abs. 1 TzBfG untersagt. Danach darf der Arbeitgeber Teilzeitbeschäftigte nicht wegen der Teilzeit ohne sachlichen Grund ggü. Vollzeitbeschäftigten unterschiedlich behandeln. Besteht kein sachlicher Grund, liegt eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts vor.

Eine mittelbare Benachteiligung liegt aber nicht vor, wenn ein Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern Kenntnisse der deutschen Schriftsprache verlangt, damit diese schriftliche Arbeitsanweisungen verstehen und die betrieblichen Anweisungen so gut wie möglich erledigen können. In einem solchen Fall verfolgt der Arbeitgeber nämlich ein sachlich gerechtfertigtes Ziel (BAG v. 28.1.2010, a.a.O.).

Eine unterschiedliche Behandlung von Frauen, die vor dem 1.1.1952 geboren sind, und Männern liegt vor, wenn eine Tarifregelung bestimmt, dass eine Übergangsversorgung zu dem Zeitpunkt endet, ab dem der Versorgungsberechtigte eine Rente wegen des Alters vorzeitig in Anspruch nehmen kann. Denn Frauen sind nach § 237a Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI (i.d.F. vom 19.2.2002) ab Vollendung des 60. Lebensjahres rentenberechtigt. Männer dagegen können eine vorgezogene Altersrente erst mit Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch nehmen. Eine solche unterschiedliche Behandlung benachteiligt jedoch Frauen nicht mittelbar aufgrund des Geschlechts, wenn der Tarifvertrag vorsieht, dass finanzielle Nachteile, die Frauen im Vergleich zu Männern infolge der für sie geltenden tarifli...

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