Rz. 85

Für den Fall, dass der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ergreift, steht dem davon betroffenen Beschäftigten ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Er hat demnach einen Anspruch darauf, seine Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgeltes einzustellen, jedoch nur soweit dies zu seinem Schutz erforderlich ist. Das Leistungsverweigerungsrecht besteht nicht für die Fälle der unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung aus § 3 AGG. Voraussetzung ist, dass eine Belästigung tatsächlich stattgefunden hat, diese der zuständigen Stelle im Betrieb mitgeteilt worden ist und der Arbeitgeber dennoch untätig geblieben ist, also seiner Pflicht aus § 12 AGG, erforderliche Maßnahmen zum Schutz vor der Belästigung zu ergreifen, nicht nachgekommen ist. Eine ergriffene Maßnahme, die aber offensichtlich ungeeignet ist, dem Betroffenen den Schutz vor weiteren Belästigungen zu gewähren, kann ebenfalls ein Leistungsverweigerungsrecht begründen. Ob eine Maßnahme ungeeignet ist, ist objektiv zu bestimmen. Die subjektive Einschätzung des Betroffenen genügt nicht. Das Leistungsverweigerungsrecht wird auch begründet, wenn die Belästigung durch den Arbeitgeber selbst oder der Dienstvorgesetzten geschieht (BT-Drucks 16/1780, 37). Ein Beispiel für eine offensichtlich ungeeignete Maßnahme wäre eine vorläufige Beschränkung der Angelegenheit auf interne schriftliche Vermerke, ohne Täter und Opfer anzusprechen (Thüsing, Rn 569). Die Einstellung der Tätigkeit muss gerechtfertigt sein. Es kommt dabei auf die Verhältnismäßigkeit zwischen der Art und Schwere der Belästigung und der Ausübung des Leistungsverweigerungsrechtes an. Es darf kein anderes, milderes Mittel zur Unterbindung der Belästigung geben, selbst wenn der Betroffene dieses nicht gekannt hat oder erkannt haben sollte (Thüsing, Rn 571). Der Arbeitnehmer trägt mithin das Risiko eines Irrtums. § 22 AGG gilt nur für Diskriminierungen, daher trägt der Arbeitnehmer die Beweislast dafür, dass ein Leistungsverweigerungsrecht vorliegt. Besteht ein solches nicht und hat der Arbeitnehmer davon irrtümlich Gebrauch gemacht, kann ihm wegen beharrlicher Leistungsverweigerung verhaltensbedingt gekündigt werden (BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14).

 

Rz. 86

Besteht hingegen ein legitimes Leistungsverweigerungsrecht, dann hat der Arbeitgeber nach dem Lohnausfallprinzip dem Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt weiter zu zahlen, das der Arbeitnehmer verdient hätte, wenn er in dieser Zeit gearbeitet hätte (MüKo/Thüsing, AGG, § 14 Rn 12). Nach § 14 S. 2 AGG bleibt § 273 BGB unberührt. Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass die Vorschriften unterschiedliche Ziele verfolgen. § 273 BGB soll einen Zwang zur Erfüllung einer Verbindlichkeit ausüben, während § 14 AGG dem Schutz des Beschäftigten vor weiteren (sexuellen) Belästigungen dient (BT-Drucks 16/1780, 37).

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