Rz. 246

 

Beispiel

Der ursprünglich französische, bei seinem Tode US-amerikanische Staatsangehörige Caron besaß eine an der Côte d’Azur belegene Eigentumswohnung. Er brachte diese in eine amerikanische Corporation ein, um die Entstehung von Pflichtteilen nach dem für in Frankreich belegene Immobilien geltenden französischen Erbrecht zu verhindern. Die Cour de Cassation[218] bestätigte zwar, dass die Anteile an der Corporation als bewegliches Vermögen zu qualifizieren seien, obwohl es sich um eine reine Immobiliengesellschaft handele. Grundsätzlich gelte daher das amerikanische Wohnsitzrecht des Erblassers, wonach den Kindern keine Pflichtteile zuständen. Allerdings liege in dieser Gestaltung eine unzulässige Rechtsumgehung. Der Herabsetzungsklage des Sohnes wurde daher in Anwendung französischen Erbrechts stattgegeben.

 

Rz. 247

Das Pflichtteilsrecht regt als freiheitsbeschränkender Faktor in besonderer Weise die Phantasie zur Rechtsumgehung an. Dies gilt umso mehr, als ein commoncore der westlichen, ja nicht einmal der europäischen Staaten im Pflichtteilsrecht nicht erkennbar ist, die Differenzen und Gegensätze der Rechtsordnungen also erheblich sind. Entscheidungen deutscher Gericht, die sich mit der Rechtsumgehung im Erbrecht befassen, liegen nicht vor. Grund dafür mag aber wohl die besondere Scheu der Gerichte sein, mit dem Argument der Rechtsumgehung zu arbeiten.[219]

 

Rz. 248

Die Erbrechtsverordnung enthält keine ausdrückliche Regelung zur Rechtsumgehung. Erwägungsgrund 26 der EUErbVO aber weist ausdrücklich darauf hin, dass ein Gericht nicht gehindert ist, Mechanismen gegen die Gesetzesumgehung im Bereich des internationalen Privatrechts einzusetzen. Insbesondere für die Rechtswahl in Art. 22 EUErbVO gibt es außerhalb der Beschränkung auf die Rechtsordnungen der Staaten, denen der Erblasser angehört, keine weiteren gesetzlichen Grenzen. Die Wahl des Heimatrechts scheint danach selbst dann wirksam zu sein, wenn zu diesem Staat außer der Staatsangehörigkeit keine effektiven Beziehungen bestehen. Freilich darf das Ergebnis nicht gegen den ordre public des Gerichtsstaates verstoßen, Art. 35 EUErbVO.

 

Rz. 249

Auch auf die Fälle der "dolosen Rechtserschleichung" gemünzt erscheint aber Art. 21 Abs. 2 EUErbVO. Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat hatte, dessen Recht nach Art. 21 Abs. 1 EUErbVO anzuwenden wäre, so ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht dieses anderen Staates anzuwenden. Das soll gem. Erwägungsgrund 25 der EUErbVO z.B. für Fälle gelten, in denen der Erblasser erst kurz vor seinem Tod in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts umgezogen ist. Im Fall der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts zur Erschleichung eines pflichtteilsgünstigen Erbrechtsregimes ist also durchaus in der EUErbVO ein Hebel zur exceptiodoli vorgesehen.

[218] Court d’AppellAix en Provence vom 9.3.1982, siehe Audit, Droit international privé, 7. Aufl., Paris 2013, Rn 298, bestätigt von der Cour de Cassation; ausführlich Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 14 II, S. 480.
[219] Siehe von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, § 7 Rn 131: "keine deutsche Entscheidung, die ratione decidendi mit der kollisionsrechtlichen fraus legis gearbeitet hätte". Dort in Fn 575 ff. Hinweis auf offensichtliche Umgehungsfälle, in denen die Gerichte aber hierauf nicht eingingen.

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