Rz. 260

Das Pflichtteilsrecht weist enge Bezüge zum Unterhalts- und Güterstatut auf. In den einzelnen Rechtsordnungen wird auf unterschiedlichen Wegen die Absicherung naher Angehöriger, insbesondere des überlebenden Ehegatten, verschiedenen Rechtsbereichen zugewiesen. Im schwedischen und finnischen Recht sorgt z.B. der gesetzliche Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft für eine finanzielle Absicherung des überlebenden Ehegatten, so dass auf Pflichtteilsrechte weitgehend verzichtet werden kann (güterrechtliche Lösung). In England und Schottland ist umgekehrt im Erbfall kein güterrechtlicher Ausgleich vorgesehen, sondern eine großzügige erbrechtliche Beteiligung des überlebenden Ehegatten am Nachlass (erbrechtliche Lösung). Kommt es in internationalen Ehen zu Kombinationen unterschiedlicher Systeme (finnisches Erb- und englisches Güterstatut; schwedisches Güter- und schottisches Erbstatut), kann es zu Rechtsfolgen kommen, die dem Sinn beider beteiligter Rechtsordnungen widersprechen.

 

Rz. 261

 

Beispiele

So erhielte bei finnischem Erb- und englischem Güterstatut der überlebende Ehegatte nach dem finnischen Erbrecht keinen Pflichtteil und könnte nach englischem Güterrecht auf keine güterrechtlich begründete Beteiligung am Vermögen des verstorbenen Ehegatten hoffen (Beispiel 1). Dagegen erhielte er bei schwedischem Güter- und schottischem Erbstatut zunächst nach schwedischem Güterrecht die Hälfte des sich bei Vereinigung der Vermögensmassen beider Eheleute ergebenden Gesamtguts und von der dem Nachlass zufallenden Hälfte am Gesamtgut noch einmal mindestens ein Drittel als legal right nach schottischem Erbrecht (Beispiel 2).[226]

 

Rz. 262

Diese Ergebnisse können nicht befriedigen, denn das englische Recht verzichtet im Erbfall auf die im Fall der Auflösung der Ehe durch Scheidung durchzuführende güterrechtliche Vermögensaufteilung nur, weil die erbrechtliche family provision im Erbfall zu einem vergleichbaren Ergebnis führt – nämlich einer hälftigen Teilung des matrimonial property;[227] das finnische Erbrecht dagegen gewährt dem Ehegatten keinen Pflichtteil, weil dieser im schwedischen Recht über den gesetzlichen Güterstand abgesichert ist. Dass der Ehegatte in der ersten Konstellation gar nichts erhält, widerspricht mithin beiden beteiligten Rechtsordnungen. Bei der zweiten Konstellation dagegen ist er zu Lasten der Abkömmlinge doppelt versorgt, obwohl keine der beteiligten Rechtsordnungen – würde sie gleichzeitig die güter- und die erbrechtlichen Verhältnisse regeln – ihm mehr als die Hälfte des Nachlasses gewähren würde. Solche Wertungswidersprüche sind möglich, wenn im Erb- und Familienrecht angesiedelte Mindestsicherungen zugunsten Angehöriger aufgrund einer Koppelung aus unterschiedlichen Systemen stammender Teile zu einer Über- (Normenfülle) oder Unterversorgung (Normenmangel) führen.

 

Rz. 263

In gleicher Weise kann eine Überversorgung eintreten, wenn das güterrechtliche Viertel aus § 1371 Abs. 1 BGB bei deutschem Güterstatut mit einem Ehegattenerbteil aus ausländischem Erbstatut zusammentrifft, der über dem liegt, was der Ehegatte bei deutschem Erbstatut nach § 1931 Abs. 1 BGB erhielte (siehe Rdn 200).

 

Rz. 264

Darüber hinaus können Wertungswidersprüche auch bei der Nachlassspaltung eintreten, wenn für die Berechnung der Pflichtteilsrechte an der einen Masse freiwillige Zuwendungen des Erblassers aus der anderen Masse nicht berücksichtigt werden.

[226] Siehe Länderübersicht Großbritannien: Schottland (§ 19 Rdn 184).
[227] Daher die Bezeichnung "imaginary divorce guideline"; siehe näher Länderübersicht Großbritannien: England (§ 19 Rdn 150).

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