Rz. 16

Es ist umstritten, ob ein Erbverzicht nur ausdrücklich oder auch stillschweigend erklärt werden kann. Eine stillschweigende Erklärung kommt im Rahmen eines notariellen gemeinschaftlichen Testaments oder bei einem Erbvertrag in Betracht, etwa bei einer Patchworkkonstellation, in welcher jeder Ehegatte im (stillschweigenden) Einverständnis des anderen seine eigenen Kinder bedenkt.[30]

Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein stillschweigender Erbverzicht möglich.[31] Zumindest das OLG Düsseldorf hat sich dem BGH angeschlossen.[32] Teile der (Kommentar-)Literatur befürworten ebenfalls den stillschweigenden Erbverzicht.[33] Reul sah beim BGH zwar Anzeichen für ein Abrücken von dieser Meinung, weil die Bedeutung der Auslegung stärker betont werde.[34] Allerdings wurden in dem zum Beleg herangezogenen Zitat die einleitenden Worte des BGH ("Es mag in Einzelfällen auch möglich sein …") nicht erwähnt.

Der überwiegende Teil der Literatur sieht einen stillschweigenden Erbverzicht als nicht möglich an.[35] Eine stillschweigende Erklärung sei nur bei Formfreiheit möglich. In gemeinschaftliche Testamente werde – womöglich um die Nachlassgestaltung zu "retten" – mehr "hineingelesen" als den Erklärenden bewusst gewesen sei bzw. als Nichtjuristen bewusst gewesen sein konnte. Schließlich würde der Schutzzweck der Formvorschrift des § 2348 BGB umgangen.

Insbesondere das letzte Argument wiegt schwer. Es muss aber nicht zu einer vollständigen Ablehnung des stillschweigenden Erbverzichts führen. Mit Keim sollten an die Auslegung zugunsten eines stillschweigenden Erbverzichts aber hohe Anforderungen gestellt werden.[36] Die entsprechende Erklärung des Verzichtenden kann nur unterstellt werden, wenn dieser wusste, dass er damit nicht nur auf eine mögliche erbrechtliche Zuwendung verzichtet, sondern auch auf eine gesetzlich besonders gesicherte Teilhabe.

 

Rz. 17

 

Praxishinweis

Der Hinweis des Notars

"Der Erschienene wurde darüber aufgeklärt, dass er mit diesem Testament auf seinen Pflichtteil oder Teile davon verzichten könnte."

würde danach nicht reichen. Denkbar wäre ein Hinweis wie:

"Der Erschienene wurde darüber aufgeklärt, dass er mit diesem Testament auf seinen Pflichtteil verzichtet."

Spätestens bei dieser Formulierung sollte dem Notar das Problem aber gewahr werden und er sollte einen ausdrücklichen Verzicht in die Urkunde aufnehmen. Der stillschweigende Verzicht wird einen Ausnahmefall darstellen.

[30] Vgl. auch Kappler/Kappler, ZEV 2015, 437, 439.
[31] BGHZ 22, 364 (zum Erbvertrag); BGH NJW 1977, 1728 (zum gemeinschaftlichen Testament).
[32] OLG Düsseldorf MittBayNot 1999, 574.
[33] Keim, ZEV 2001, 1; Grüneberg/Weidlich, § 2348 Rn 3.
[34] Reul, MittRhNotK 1997, 373, 378 mit Verweis auf BGHZ 134, 152 = NJW 1997, 653.
[35] Vgl. Reul, MittRhNotK 1997, 373, 378; MüKo/Wegerhoff, § 2348 Rn 8; weitere Nachw. bei Keim, ZEV 2001, 1, 2 Fn 10.
[36] Keim, ZEV 2001, 1, 4; ähnlich Habermann, JuS 1979, 169, 173.

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