Rz. 73

Die Berechtigung zur ärztlichen Behandlung beruht neben der "informierten Einwilligung" des Patienten auch auf der auf "medizinischen Indikation". Auch an einem einwilligungsunfähigen Patienten muss jeder ärztlichen Maßnahme die Feststellung der medizinischen Indikation vorausgehen. Medizinisches Handeln, ohne dass der Arzt eine Indikation gestellt hat, ist selbst dann, wenn eine Einwilligung vorliegt, ein Verstoß gegen die ärztliche Kunst.[108] Der Begriff der Indikation lässt sich nicht 100 %ig sicher bestimmen.[109] Der BGH beschreibt sie als "das fachliche Urteil über den Wert oder Unwert einer medizinischen Behandlungsmethode in ihrer Anwendung auf den konkreten Fall."[110] Die Bundesärztekammer sah sich 2015 veranlasst, den Begriff der Indikation in einer offiziellen Mitteilung für ihre Mitglieder zu definieren:

"Die medizinische Indikation beruht auf einem aktiven Entscheidungsprozess, der sich definieren lässt als die Beurteilung eines Arztes, dass eine konkrete medizinische Maßnahme angezeigt ist, um ein bestimmtes Behandlungsziel zu erreichen."[111]

 

Rz. 74

Zum "Handwerkszeug" bei der Erstellung einer medizinischen Indikation gehört

die Feststellung der Diagnose
die Bildung einer Prognose
der Vorschlag eines Behandlungsplans.

Die Feststellung der Diagnose erfolgt standardisiert. Die im Rahmen eines solchen diagnostischen Standardverfahrens erhaltenen Befunde sind entscheidend für die Behandlung eines Patienten, und die Bestimmung der Indikation für medizinische Eingriffe führt zur Formulierung von Empfehlungen an den Patienten hinsichtlich weiterer diagnostischer Untersuchungen und Behandlungsmöglichkeiten.[112] Die Indikation kann sich daher ändern. Sie ist im Verlaufe einer Behandlung kontinuierlich zu überprüfen.[113]

 

Rz. 75

Ziele und Gesundheitszustand des Patienten stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang miteinander. Der Arzt muss daher auch entscheiden, welche Behandlungsmaßnahme angemessen ist. Medizinische Maßnahmen können aus unterschiedlichsten Gründen nicht angemessen bzw. aussichtslos sein.[114] Sinnlos sind grundsätzlich aussichtslose Maßnahmen. Was das allerdings ist, darüber streiten die Mediziner.

Die Feststellung der Indikation steht in der alleinigen Kompetenz des Arztes.[115] Sie ist Teil seiner Verantwortung[116] und sie kann auch nicht durch ein Ethikkonsil oder eine Mehrheitsentscheidung mehrerer Beteiligter ersetzt werden.[117]

[108] Vgl. zur Aufweichung dieser Anforderung durch die sog. wunscherfüllende Medizin, Stellungnahme der Bundesärztekammer, Medizinische Indikationsstellung und Ökonomisierung, 2015.
[109] Vgl. z.B. Dörries/Lipp, Medizinische Indikation, ärztliche, ethische und rechtliche Perspektiven, Hannover 2015.
[111] Stellungahme der Bundesärztekammer, Medizinische Indikationsstellung und Ökonomisierung, 2015.
[112] Jonsen/Siegler/Winslade, Klinische Ethik, 5. Aufl. 2002, 3.
[113] Empfehlung der Bundesärztekammer und der zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis (25.10.2018), DÄbl 2018, 2434, 2440; Frewer/Fahr/Rascher/Bockenheimer- Lucius, Die Patientenverfügung in der Praxis, Grundlagen ärztlichen Handelns und klinischen Entscheidens, Patientenverfügung und Ethik, Würzburg 2009, 28.
[114] Jonsen/Siegler/Winslade, Klinische Ethik, 5. Aufl. 2002, 27.
[115] Dodegge/Roth, SK Betreuungsrecht, 214.
[116] Siehe Empfehlung der Bundesärztekammer und der zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis (25.10.2018).
[117] Salomon/Sold/Schmidt, Praxishandbuch Ethik in der Intensivmedizin, Therapiebegrenzung und Therapiereduktion, – praktisch umgesetzt, 2. Aufl. 2013, 194.

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