Rz. 34

Für das Handeln eines Betreuers gelten vielfältige Genehmigungsvorbehalte. Der Unterschied zur Vorsorgevollmacht besteht darin, dass der Vorsorgebevollmächtigte diesen Vorbehalten gerade nicht unterliegt. Das gilt jedoch nicht für die Genehmigungsvorbehalte der §§ 1829, 1831, 1832 BGB (§§ 1904 und 1906, 1906a BGB a.F.). § 1829 BGB (§ 1904 BGB a.F.) versteht sich wie die §§ 1831, 1832 BGB (§§ 1906, 1906a BGB a.F.) vor dem Hintergrund, dass Eingriffe in Leben und Gesundheit bzw. deren Unterlassung oder deren Abbruch so schwerwiegend und gefährlich sein können, dass sie grundsätzlich dem Genehmigungsvorbehalt des Richters unterliegen. Bevollmächtigte wie Betreuer müssen sich solche Eingriffe/Unterlassungen (qualifizierte Gefahrensituation) – mit wenigen, aber bedeutsamen Ausnahmen – zusätzlich genehmigen lassen.[28]

1. Lebens- und gesundheitsgefährdende Maßnahmen – § 1829 BGB (§ 1904 BGB a.F.)

 

Rz. 35

Es bedarf im Grundsatz einer betreuungsgerichtlichen Entscheidung nach § 1829 Abs. 1 und 5 BGB (§ 1904 Abs. 1 BGB a.F.), wenn es sich um eine Einwilligung in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff handelt, bei dem die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute/Vollmachtgeber aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und längerdauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung ist die Durchführung der Maßnahme nur erlaubt, wenn mit dem Aufschub der Maßnahme Gefahr verbunden ist.

 

Rz. 36

Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers/Bevollmächtigten in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedürfen nach § 1829 Abs. 2 und 5 BGB (§ 1904 Abs. 2 BGB a.F.) ebenfalls einer solchen Genehmigung. Dazu muss die Maßnahme medizinisch angezeigt sein und die begründete Gefahr bestehen, dass der Betreute/Vollmachtgeber aufgrund des Unterbleibens oder des Abbruches der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger andauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.

Die betreuungsgerichtliche Genehmigung ist nur dann nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer/Bevollmächtigtem und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1828 BGB (§ 1901a BGB a.F.) festgestellten Willen des Betreuten/Vollmachtgebers entspricht § 1829 Abs. 4 und 5 BGB (§ 1904 Abs. 4, 5 BGB a.F.).

a) Die Untersuchung des Gesundheitszustands

 

Rz. 37

Unter dem Tatbestandsmerkmal Untersuchung des Gesundheitszustandes ist jedes diagnostische Verfahren zu verstehen, gleichgültig, ob es mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist oder nicht.[29] Dazu gehören einfache Funktionsprüfungen ebenso wie physikalische, chemische, bakteriologische, virologische wie immunologische Analysen.[30] Mit einem Eingriff verbundene Analysen sind z.B.:

Endoskopie
Katheterisierung

Punktionen zur Entnahme von Körperflüssigkeiten wie

Gelenkflüssigkeit (Synovia)
Hirnwasser (Lumbalpunktion)
Peritonealflüssigkeit
Pleuraflüssigkeit (Pleurapunktion)
Knochenmark (Knochenmarkpunktion)
Suprapubische Blasenpunktion
Punktionen zur Entnahme von Gewebsproben (Feinnadelbiopsie).
[29] Kurze/Roglmeier, VorsorgeR, § 1904 a.F. Rn 5.
[30] Staudinger/Bienwald, Neub. 2017, § 1904 a.F. Rn 53 ff.

b) Die Heilbehandlung

 

Rz. 38

Heilbehandlungen sind Maßnahmen jeglicher Art (auch die von nichtärztlichen Heilberufen durchgeführten Maßnahmen), die auf Herstellung der Gesundheit, Linderung der Krankheit, Beseitigung oder Linderung von Krankheitsfolgen sowie Verhütung von Krankheiten und ihrer Verschlimmerung gerichtet sind, wozu auch alternative Behandlungsmethoden jeglicher Art gezählt werden können.[31] Zur Heilbehandlung gehören nicht nur die diversen operativen Eingriffe, sondern auch die dazu erforderliche Anästhesie.[32]

 

Rz. 39

Auch die Behandlung mit Medikamenten ist Heilbehandlung und unterfällt dem Grunde nach § 1829 BGB (§ 1904 BGB a.F.) Jede medikamentöse Behandlung bedarf daher nicht nur der Einwilligung des Betroffenen oder seines Vertreters. (§ 630d BGB: "es sei denn, eine Patientenverfügung gestattet die Maßnahme oder untersagt sie"), sondern ist auch immer daraufhin zu überprüfen, ob eine zusätzliche Genehmigungsverpflichtung besteht.

 

Rz. 40

Soweit die Verabreichung von Medikamenten auf die Ruhigstellung des Patienten oder der Muskelrelaxation zum Zwecke der Beweglichkeitseinschränkung gerichtet ist und nicht als unvermeidliche Nebenwirkung einer notwendigen Therapie erzeugt wird, stellt sie sich als freiheitsentziehende Maßnahme dar und dient nicht mehr der Heilbehandlung.[33] Sie ist ein ärztlicher Eingriff i.S.d. § 1904 BGB oder ggf. eine Maßnahme nach § 1906 BGB.

[31] Staudinger/Bienwald, Neub. 2017, § 1904 a.F. Rn 57 ff.
[32] Staudinger/Bienwald, Neub. 2017, § 1904 a.F. Rn 58.
[33] Staudinger/Bienwald, Neub. 2017, § 1904 a.F. Rn 59, 61.

c) Der ärztliche Eingriff

 

Rz. 41

Ärztliche Eingriffe sind Maßnahmen, die nicht dem Begriff der Heilbehandlung unterfallen, aber mit einer Beeinträchtigung der körperlichen Integrität einhergehen. Sie dienen ...

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