Rz. 98

§ 2 II AVB macht eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Vermögensschäden aus Verstößen nicht gedeckt sind, die vor Beginn des Versicherungsverhältnisses begangen wurden. Der Anwalt kann sich auch gegen die Folgen solcher Verstöße versichern lassen, die vor der versicherten Zeit liegen, wenn danach ein Bedürfnis besteht. Ein solches Bedürfnis wird der Anwalt zu prüfen haben, der in eine Gesellschaft eintritt. Bei einer Partnerschaftsgesellschaft haftet er auch für die Altschulden anderer, es sei denn, dass entsprechend § 8 Abs. 2 PartGG nur einzelne Partner mit der Mandatsbearbeitung beauftragt waren.[249] Bei einer Sozietät kann sich ein "Altfall" auf die Berechnung der Durchschnittsversicherungssumme auswirken,[250] nicht allerdings bei der oben (siehe Rdn 14) vorgestellten Lösung, bei der der Sozius, der nach der Pflichtverletzung hinzukommt, ohnehin nicht mitgezählt wird. I.Ü. bietet Teil 1.2 AVB für den Bereich der Haftung für Altschulden und für den Bereich der Haftung nach Austritt aus der Kanzlei inzwischen zusätzlich Versicherungsschutz, sodass die Gefahr, in diesen Fällen ohne Deckungsschutz dazustehen, deutlich gemildert wurde. Wird dennoch echte Rückwärtsversicherung gewünscht, ist bei Antragstellung anzugeben, für wie lange vor Vertragsbeginn die Deckung für bereits begangene Verstöße gewünscht wird. Der Endpunkt ist, ohne dass dies ausdrücklich angegeben zu werden braucht, der Beginn des Deckungsschutzes für künftige Verstöße (Vorwärtsversicherung, vgl. Rdn 96).

 

Rz. 99

Voraussetzung einer solchen Rückwärtsversicherung ist, dass der in der Vergangenheit liegende Verstoß dem Versicherungsnehmer oder dem Mitversicherten bei Abgabe der Vertragserklärung nicht schon bekannt ist. Bereits bekannte Verstöße sind nicht versicherbar, auch nicht für den in eine Kanzlei eintretenden neuen Sozius. Nachdem die Frage, zu welchem Zeitpunkt genau die Kenntnis für den Versicherungsnehmer schädlich ist, zunächst umstritten war,[251] wird diese nun in § 2 II Nr. 2 AVB parallel zum aktuellen Gesetzeswortlaut gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG geklärt. Entscheidend ist die Abgabe der Vertragserklärung. Die Kenntnis wird jetzt nur noch allgemein auf ein "Vorkommnis" bezogen; die früher an dieser Stelle in den AVB genannte sehr verklausulierte Umschreibung, von was der Versicherungsnehmer Kenntnis haben muss,[252] damit der Versicherer leistungsfrei ist, wurde wesentlich vereinfacht, ohne dass in der Sache etwas anderes gemeint ist.

 

Rz. 100

Als Dritte kommen nur Beteiligte in Betracht, etwa der Geschädigte und derjenige, der die berufliche Tätigkeit des Anwalts überwacht. Ein unbeteiligter Außenstehender kann nicht Dritter sein. Seine Äußerungen können aber dazu führen, dass dem Versicherungsnehmer oder dem Mitversicherten das Vorkommnis bekannt wird.[253]

[249] Burger, AnwBl. 2004, 304, 305.
[250] Vgl. Brieske, AnwBl. 1995, 225, 227.
[251] Vgl. Chab, in: HB der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 18 Rn 88.
[252] Vgl. § 2 II Nr. 2 AVB HV 60/06.
[253] Lücke, in: Prölss/Martin, § 2 AVB Vermögen Rn 5.

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