Rz. 9

Voraussetzung für den Vorrang des Tarifvertrages ggü. individualvertraglichen Abreden ist, dass beide Parteien des Arbeitsvertrages an den Tarifvertrag gebunden sind. Tarifbindung mit der Folge des normativen – zwingenden – Vorranges des Tarifvertrages kann nur auf folgende Weise entstehen:

Es sind beide Arbeitsvertragsparteien jeweils Mitglied der beiden Tarifvertragsparteien, d.h. der Arbeitnehmer ist Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft, der Arbeitgeber ist Mitglied des entsprechenden Arbeitgeberverbandes oder selbst Partei des Tarifvertrages, §§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 TVG (eine Besonderheit gilt für sog. "AT-Angestellte")

oder

es ist der betreffende Tarifvertrag nach Maßgabe des § 5 Abs. 1, Abs. 1a TVG von der zuständigen Stelle (dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales) für allgemein verbindlich erklärt worden; wegen § 5 Abs. 4 TVG erfassen seine Rechtsnormen damit für seinen Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber (Außenseiter) und Arbeitgeber, die nach § 3 TVG an einen anderen Tarifvertrag gebunden sind.
 

Rz. 10

Die bloß arbeitsvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrages führt dagegen nicht zum normativen Tarifvorrang. Sie hat lediglich die schuldrechtliche Geltung des betreffenden Tarifwerkes zur Folge. Geltungsgrund der Tarifregelungen ist in diesem Fall nicht der ihnen von Verfassung und Gesetz verliehene Normstatus. Die Geltung der Tarifregelungen beruht lediglich auf der entsprechenden einzelvertraglichen schuldrechtlichen Abrede und kann auch konkludent erfolgen (vgl. BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98; BAG v. 17.11.1998 – 9 AZR 584/97).

 

Rz. 11

Tarifbindung i.S.d. TVG und vertraglicher Einbezug desselben Tarifvertrages können zusammenfallen, wenn der tarifgebundene Arbeitgeber mit allen Arbeitnehmern – mangels Kenntnis von deren Mitgliedschaft auch mit den Gewerkschaftsangehörigen – Arbeitsverträge schließt, in denen der (vorformulierte) Verweis auf den betreffenden Tarifvertrag enthalten ist. Der arbeitsvertragliche Verweis auf den Tarifvertrag hat nach der Rspr. des BAG konstitutive Wirkung (BAG v. 20.2.2002 – 4 AZR 123/01; BAG v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02). Dadurch gehen Tarifbindung und normativer Tarifvorrang für die Arbeitsverhältnisse der gewerkschaftsangehörigen Belegschaftsmitglieder nicht verloren (vgl. Etzel, NZA Beilage 1/1987, 19, 25).

a) Gleichzeitigkeit der Bindung

 

Rz. 12

Bindung an einen Tarifvertrag mit der Folge von dessen normativer Wirkung entsteht nur, wenn beide Arbeitsvertragsparteien zu einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig an eben diesen Tarifvertrag gebunden waren. Lediglich sog. Betriebsnormen – Rechtsnormen des Tarifvertrages über betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen – gelten unabhängig von der Tarifbindung der Arbeitnehmer für alle Betriebe, deren Arbeitgeber jedenfalls tarifgebunden ist, § 3 Abs. 2 TVG.

 

Rz. 13

Nicht erforderlich ist es, dass die Arbeitsvertragsparteien schon bei Beginn des Arbeitsverhältnisses tarifgebunden waren. Ist der Arbeitgeber bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages oder wird er später Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes, ist der Arbeitnehmer dagegen kein Mitglied einer Gewerkschaft, so ist nur Ersterer tarifgebunden. Die Regelungen des Tarifvertrages entfalten mangels beiderseitiger Tarifgebundenheit i.S.d. § 4 Abs. 1 TVG keine Normwirkung für das Arbeitsverhältnis; der Arbeitnehmer hat keine Ansprüche aus dem Tarifvertrag (BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 622/03). Tritt der Arbeitnehmer im Laufe des Arbeitsverhältnisses der tarifschließenden Gewerkschaft bei, ist von diesem Zeitpunkt an auch er tarifgebunden. Der Tarifvertrag entfaltet ab sofort normative Wirkung. Von seinen Regelungen abweichende einzelvertragliche Abreden zuungunsten des nunmehr tarifgebundenen Arbeitnehmers werden unwirksam (zum Fall des rückwirkenden Gewerkschaftsbeitrittes vgl. BAG v. 22.11.2000 – 4 AZR 688/99).

b) "OT-Mitgliedschaft" des Arbeitgebers im Arbeitgeberverband

 

Rz. 14

Tritt der Arbeitgeber aus dem Arbeitgeberverband aus, so hat dies nicht das sofortige Ende der Wirkungen des Tarifvertrages zu bedeuten, vielmehr gilt der Tarifvertrag bis zu seinem Ende weiter fort, § 3 Abs. 3 TVG. Weiterhin sind die in der Satzung festgelegten Kündigungsfristen grds. vom Arbeitgeber einzuhalten. Auch kann er mit einer außerordentlichen Kündigung nicht eine Tariflohnerhöhung umgehen (vgl. näher Plander, NZA 2005, 897 ff.).

 

Rz. 15

Daher stellt sich die Frage, ob ein Arbeitgeber die Entstehung von Tarifbindung bereits von vornherein dadurch vermeiden kann, dass er zwar einem Arbeitgeberverband beitritt, von seiner Mitgliedschaft aber eine Vertretung in Tarifangelegenheiten ausdrücklich ausnimmt. Es steht fest, dass dies nicht allein von einer entsprechenden Erklärung des einzelnen Arbeitgebers abhängen kann. Voraussetzung dafür, dass Tarifbindung trotz Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nicht eintritt, ist in jedem Fall, dass die Satzung des Verbandes/Vereins die Möglichkeit der "OT-Mitgliedschaft" (ohne Tarifbindung) überhaupt vorsieht. Es besteht dann ein Wahlrecht des Arbeitgebers z...

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