Rz. 118

Wurde der Pflichtteilsberechtigte nicht enterbt und stand ihm eine "taktische" Ausschlagungsmöglichkeit nicht zu, konnte er durch den Erblasser mittels einer geringfügigen testamentarischen Einsetzung (unterhalb seines Pflichtteils) "quasi" enterbt werden. Denn § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. griff nur, wenn der Berechtigte mehr als seinen Pflichtteil erhalten hat. Der Pflichtteilsrestanspruch – oder auch Zusatzpflichtteil – griff also bei unzureichender testamentarischer Zuwendung im Falle des § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB ein. Der Berechtigte konnte die Differenz zwischen dem Erlangten und dem ihm zustehenden ordentlichen Pflichtteil verlangen.

 

Rz. 119

 

Fall

Der verwitwete Erblasser E hinterlässt den Sohn S und die Tochter T. In einem Testament wird S Miterbe zu 5/6 und T Miterbin zu 1/6. Wie sollte sich T verhalten?

Lösung

Der T steht ein Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 BGB a.F. zu. Ihr gesetzlicher Erbteil beträgt ½. Ihr Pflichtteil ¼. Zugewandt ist der T lediglich 1/6. Die Differenz zwischen ¼ und 1/6 beträgt 1/12. Der Pflichtteilsrestanspruch beträgt daher 1/12 aus 100.000 EUR = 8.333 EUR. Hätte man der T geraten, die Erbschaft auszuschlagen, so hätte sie jegliches Erb- und Pflichtteilsrecht verloren, denn § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. greift nur ein, wenn der Erbe mehr erhalten hat als seinen Pflichtteil.

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