I. Einführung

 

Rz. 201

Grundsätzlich hat das Grunderwerbsteuerrecht nichts mit dem Pflichtteilsrecht gemeinsam. Denn der Pflichtteilsanspruch ist nach den §§ 2303 ff. BGB ein auf Geld gerichteter Anspruch. Ein Bezug zum Erwerb von Grundbesitz besteht grundsätzlich nicht. Dennoch kann in vielfältigen Fallkonstellationen der Nachfolgegestaltung Grundbesitz an Erfüllungs statt oder als Abfindung für einen Pflichtteilsverzicht zwischen den Beteiligten übertragen werden. Es stellt sich die Frage, inwiefern derartige Übertragungen Grunderwerbsteuer auslösen oder die Grunderwerbsteuerbefreiung für unentgeltliche Erwerbe, insbesondere solche aufgrund des Todesfalls, nach § 3 Nr. 2 GrEStG gewährt wird.

II. Leistung an Erfüllungs statt, § 364 BGB

 

Rz. 202

Gem. § 3 Nr. 2 GrEStG ist ein Grundstückserwerb dann von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz ausgenommen, wenn der Grundstückserwerb von Todes wegen oder als Grundstücksschenkung unter Lebenden i.S.d. ErbStG erfolgt. Umstritten ist seit dem Jahre 1999,[264] ob ein solcher Fall auch dann vorliegt, wenn zunächst beim Pflichtteilsberechtigten ein Pflichtteilsanspruch entstanden ist und zu dessen Abfindung als Leistung an Erfüllungs statt gem. § 364 BGB Grundbesitz hingegeben wird.[265]

 

Rz. 203

Zwei Richter am BFH, nämlich Viskorf[266] und Sack,[267] erkennen die Grunderwerbsteuerfreiheit in Fällen der Leistung an Erfüllungs statt nicht mehr an. § 3 Nr. 2 GrEStG greife in diesen Fällen nicht ein, da nach der neueren erbschaftsteuerlichen Rechtsprechung des BFH[268] nicht der Erwerb des Grundstücks der Erbschaftsteuer unterliege, sondern nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG der geltend gemachte Pflichtteilsanspruch, der lediglich auf Geld gerichtet sei. Die Übertragung des Grundstücks sei ein davon rechtlich getrennt zu betrachtender Vorgang, der sich wie ein regulärer Verkauf unter Verrechnung mit Pflichtteilsansprüchen auswirke. Er unterliegt nach dieser Meinung uneingeschränkt der Grunderwerbsteuer. Für eine Grunderwerbsteuerpflicht hat sich nunmehr auch der BFH entschieden.[269]

 

Rz. 204

 

Praxishinweis

Auf diese Problematik kommt es nicht an, wenn der Zuwendende und der Pflichtteilsberechtigte ebenfalls in gerade Linie verwandt sind, also wenn der Pflichtteilsberechtigte das gemeinschaftliche Kind von Erblasser und Pflichtteilsbelastetem ist. Denn dann gilt die Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 3 Nr. 6 GrEStG.

 

Rz. 205

Nach der Gegenmeinung[270] ist auch der Erwerb des Grundstücks noch nach § 3 Nr. 2 GrEStG befreit. Dem ist zuzustimmen. Das hingegebene Grundstück tritt an die Stelle des pflichtteilsrechtlichen Geldanspruchs. Es stellt die neue Teilhabe am Nachlass dar und ist insoweit ein Erwerb von Todes wegen. Für diese Meinung spricht auch die Teleologie des § 3 Nr. 2 GrEStG, nämlich eine Doppelbelastung mit Erbschaft- und Grunderwerbsteuer zu vermeiden.[271] Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn auch die Leistung eines Grundstücks an Erfüllungs statt für den Pflichtteilsanspruch von der Grunderwerbsteuer befreit ist.

 

Rz. 206

 

Praxishinweis

Angesichts der Rechtsprechung des BFH über die Grunderwerbsteuerfreiheit bei Hingabe eines Grundstücks an Erfüllungs statt für den Pflichtteil sollte als sicherer Weg im Regelfall der Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch gegen Abfindung i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG gewählt werden und nicht die Leistung an Erfüllungs statt nach § 364 BGB. Denn dann wird das Grundstück unstreitig von Todes wegen erworben und § 3 Nr. 2 GrEStG greift unmittelbar ein. Dies ist in der Formulierung des Vertrages deutlich zum Ausdruck zu bringen (vgl. dazu den Formulierungsvorschlag in Rdn 138).

[264] Nämlich seit folgendem Urteil: BFH v. 7.10.1998 – II R 52/96, BStBl II 1999, 23 = BFH/NV 1999, 416 = BB 1999, 145 = DB 1999, 127 = DStR 1998, 1957 = DStZ 1999, 187 = FR 1999, 663 m. Anm. Viskorf = ZEV 1999, 34 m. Anm. Daragan (Wohlschlegel); vgl. auch Boruttau/Sack, GrEStG, § 3 Rn 157 a.E., 187.
[265] Bejahend Gottwald, ZErb 2005, 317, 319; Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 Rn 201; Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 3 Rn 434; ebenso BFH v. 30.9.1981 – II R 64/80, BStBl II 1982, 76; Pahlke/Franz, GrEStG, § 3 Rn 61; Geck/Messner, ZEV 1999, 348, 349. A.A. Viskorf, FR 1999, 664 ff.; Boruttau/Sack, GrEStG, § 3 Rn 187.
[266] Viskorf, FR 1999, 664 ff.; vgl. dazu auch Kapp/Ebeling, ErbStG, Einl. Rn 34.1.
[267] Boruttau/Sack, GrEStG, § 3 Rn 187.
[268] BFH v. 7.10.1998 – II R 52/96, BStBl II 1999, 23 = BFH/NV 1999, 416 = BB 1999, 145 = DB 1999, 127 = DStR 1998, 1957 = DStZ 1999, 187 = FR 1999, 663 m. Anm. Viskorf = ZEV 1999, 34 m. Anm. Daragan (Wohlschlegel).
[269] BFH v. 10.7.2002 – II R 11/01, DStR 2002, 1527; Noll, DStR 2004, 257, 260.
[270] Wachter, MittBayNot 2000, 162, 167; Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 Rn 201; Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 3 Rn 434; Pahlke/Franz, GrEStG, § 3 Rn 66; Geck/Messner, ZEV 1999, 348, 349.
[271] Boruttau/Sack, GrEStG, § 3 Rn 91 m.w.N.; ebenso argumentieren Geck/Messner, ZEV 1999, 348, 349.

III. Hingabe gegen Verzicht auf den nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch

 

Rz. 207

Bei Übertragung eines Grundstücks als Abfindung für den Verzicht auf den Pflichtteil...

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